Die Athos-Lavra

Thomas Steppan: Die Athos-Lavra und der trikonchale Kuppelnaos in der byzantinischen Architektur, München: Editio Maris 1995, 272 S., 169 Abb., ISBN 3-925801-14-6, 168,00 DM.

Athos-LavraAls der Innsbrucker Kunstgeschichtler Thomas Steppan 1986 im Rahmen seiner Magisterarbeit die Forschungen über das Katholikon der Megisti Lavra am Berg Athos aufnahm, waren die Athoskirchen unter architektonischen Gesichtspunkten noch kaum ernsthaft untersucht worden. Eher am Rande beschäftigte sich seit der letzten Jahrhundertwende die Forschung im Rahmen der neu entdeckten byzantinischen Kunst mit der Architektur.

In seinem Dissertationsprojekt, das seit einiger Zeit in gedruckter Form vorliegt, beschäftigte sich Steppan intensiver mit dem Trikonchos, jenem Bautypus, bei dem drei Konchen (halbrunde Anbauten) von einem quadratischen oder rechteckigen Raumkompartiment ausgehen, und der in einer Kreuzkuppelkirche erstmals im Katholikon der Megisti Lavra aus dem 10. Jh. verwirklicht ist. Das frühchristliche System der längsgerichteten Basilika wird dabei durch Formen des Zentralbaus erweitert. Die Vorteile beider Konzepte – theologische, liturgische, architektonische – ergänzen sich.

Als Vor-Entwicklungsstufe macht Steppan hier die Basilika mit achsial angefügter Memorie aus. Als bedeutende Beispiele hierfür dienen ihm die Anastasis in Jerusalem, deren Rotunde zudem auch drei Konchen besitzt, sowie die Geburtskirche in Betlehem, deren Vorgängerbau vermutlich auf ein Oktogon mit zentraler Confessio zielte, in ihrer heutigen Form allerdings nurmehr den trikonchalen Chorschluß besitzt.

Besonders für Klosterkirchen hat sich die Anlage der drei Choroi bewährt, da in den seitlichen Konchen die Psallierchöre in unmittelbarer Nähe zum Allerheiligsten, dennoch aber vom Naos getrennt und zudem noch akustisch vorteilhaft zu positionieren waren. Der Naos selbst konnte dann relativ klein bleiben (in Klöstern bestand kaum Raumbedarf für Gläubige), was der Kuppelstatik zugute kam. Steppan gibt detailliert Aufschluß über die Bauphasen des Lavra-Katholikons und die ihnen zugrundeliegenden formalen und ikonologischen Gestaltungsprinzipien. Er weist nach, daß Athanasios, der Gründer der Lavra, zusammen mit seinem Architekten Monachos Isaias, der vermutlich für den vor 1002 vollendeten dritten Bauabschnitt verantwortlich zeichnet, keineswegs zufällig die architektonische Harmonie erreichten. Sie entwickelten bewußt ein Ideal der byzantinischen Klosterkirche, die in unmittelbarer Nachbarschaft von weiteren Klöstern am Heiligen Berg übernommen wurde und als Athos-Typ eine enorme Wirkungsgeschichte in der ganzen byzantinischen Welt zeigte.

Mit dem typographisch auf die klassischen kunstgeschichtlichen Publikationen der Jahrhundertwende zurückgreifenden Buch liegt erstmals eine Studie zur Architektur der Athos-Kirchen vor. Details zur Geschichte der Kirchen und Klöster finden sich seriös und konzentriert dargestellt. Ein Literaturverzeichnis (S. 169–182) und ein Glossar (S. 187–193) runden die Publikation ab. Die 169 Abbildungen (Fotos, Grundrisse, Zeichnungen von unterschiedlicher Qualität) stehen zusammengefaßt in einem Tafelanhang. Die Grundrißanalysen wären allerdings auch dem Laien zugänglicher gewesen, wenn die im Text genannten Punkte auch in den Zeichnungen eingetragen und diese unmittelbar im Text und nicht im Tafelanhang plaziert worden wären.

Steppans Dissertation ist dennoch nicht nur für Wissenschaftler und Liebhaber byzantinischer Kunst, sondern für jeden Athos-Begeisterten von großem Interesse.


publiziert in:
Der christliche Osten 55 (3–4/2000) 206