Bach und kein Ende?

Bach: Organ Works, Vol. 1. Ton Koopman. Teldec 4509-94458-2. 1995.

Bach Orgelwerke Koopman

Mit dieser CD beginnt der niederländische Organist Ton Koopman (Jahrgang 1944) eine Einspielung seiner Interpretation der Orgelwerke von Johann Sebastian Bach. Doch diese Interpretation ist eigenwillig. Puristen verwirren die reichen Verzierungen, Romantiker entsetzen die zügigen Tempi, Straube-Schüler erschreckt das durchgängige Non-Legato und die seltenen Registerwechsel. Auch Phrasierung und Artikulation, Agogik und häufigeres Rubato sind gewöhnungsbedürftig. Fantasie und Fuge in g (542), die beiden gewichtigen Stücke, die Bach selber schon vor seinem Tod kombiniert hat, eröffnen das Programm. Die große Fuge g (578) verarbeitet eines der ausführlichsten Themen, die Bach überhaupt benutzt hat. Canzona d (588) dokumentiert die Beschäftigung des Thomaskantors mit italienischer Musik. Aus seiner Leipziger Zeit stammt das große Präludium und Fuge h (544), Präludium und Fuge a (543) wohl der Weimarerer Periode. Norddeutschen Stil atmet Präludium und Fuge C (531). Die Fantasien in c (562) und C (570) rahmen die französischer Tradition entsprechene Fantasie G (572). Den Abschluß des Programms bildet die Passacaglia. Mit großem musikalischen Sachverstand und noch größerer Spielfreude macht sich Koopman an die Musik Bachs heran und nimmt in seinem schon apologetisch zu nennenden Beitrag die Einwände in puncto authentischer Interpretation vorweg. Nicht wie Bach gespielt hat, – wer weiß es? – sondern wie Bach heute dargestellt werden kann, spielt ihn Koopman. So nämlich kann die klassische Orgelmusik auch klingen: brillant, mitreißend, durchsichtig, ebenso verständlich wie schön, perlig, , überlegt, farbig, eindrucksvoll – schlüssig eben und genial. Auch hat der Interpret sich ein hervorragendes Instrument ausgesucht: Die Orgel der Grote Kerk zu Maasluis (1729–32 erbaut) ist ein imposantes Zeugnis der norddeutsch/niederländischen Orgelbautradition. Die ausführliche Disposition findet der Interessierte im instruktiven Beiheft. Die Bach-Einspielung von Ton Koopman verspricht, nicht irgendeine zu werden. Sie stellt zur Diskussion, regt zum Überdenken von Spiel- und Hörgewohnheiten an und ist zu allem Überfluß wirklicher Musikgenuß. Für Aufgeschlossene hat sie echte Offenbarungsqualität. Man darf auf die weiteren Aufnahmen gespannt sein.


publiziert in:
Deutsche Tagespost 17.2.1996