Bonnal Orgelwerke

Joseph-Ermend Bonnal: L’Oevre pour orgue. Jean-Pierre Lecaudey, Cathedral St. Bavo, Haarlem. 1995. Pavane Records ADW 7357 (Vertrieb: disco-center, Kassel).

Bonnal Orgelwerke

Der 1880 in Bordeaux geborene Bonnal war Zeitgenosse Viernes und Duprés. Er studierte am Pariser Conservatoire Orgel bei Guilmant und Komposition bei Fauré. Er schließt seine Studien mit einem ersten Preis in Orgel und Improvisation ab und wird Schüler und Stellvertreter von Charles Tournemire. 1941 folgt er diesem als Organist an der Pariser Kirche S. Clothilde nach. Trotz all der berühmten Namen, die mit ihm in Verbindung gebracht werden, blieben seine Kompositionen weitgehend unbekannt. Dem belgischen Label Pavane ist es zu danken, daß nun eine Einspielung seines Orgelwerkes vorliegt, die Jean-Pierre Lecaudey an der großen spätromantischen Orgel von St. Bavo zu Haarlem eingespielt hat.

Bonnals Tonsprache ist über weite Strecken aus der kirchentonalen Modalität heraus entwickelt, wirkt dabei aber überaus reich an Harmonik und Klangfarben. Er gewinnt dem zeitgenössischen Instrument breitgefächerte Nuancen ab, die später einem Olivier Messiaen neue Wege eröffnen sollten. Bonnal bricht mit der Franckschen Tradition der Notes communes und schlägt sich wiederholende Akkordtöne stets neu an. Andererseits schafft er komplexe Vorgaben für das Legato, wenn er dies wünscht.

Den Beginn vorliegender Aufnahme bildet eine ruhige, von Landschaften wie der Bretagne und dem Baskenland geprägte Suite. Demgegenüber mutet das kleine Noël Landais regelrecht impressionistisch an. Fließende Harmonien wechseln ohne Bruch doch oft in überraschende Richtungen. Auch effektvolle Toccaten fehlen nicht. Die 1905 entstandenen Reflets solaires, die er Bonnet widmet, entsprechen diesem französisch-romantischen Toccatentyp. Die abschließende Orgelsymphonie hat da durchaus ernsthafteren Charakter. Aus dem gregorianischen Thema „Media vita“ entwickelt, steht sie in unmittelbarer Nachfolge von Durufles Prélude, Adagio et Choral Varié sur le thème du Veni Creator. Durufles Werk wurde zwei Jahre vor Bonnal Symphonie beim Wettbewerb der Orgelfreunde prämiert. Bonnal verarbeitet das Thema überaus gewandt und ungewöhnlich ausdrucksstark.

Die Aufnahme stellt für Freunde französischer Orgelromantik eine interessante Entdeckung dar.


publiziert in:
Deutsche Tagespost 28.11.1996