Vor 350 Jahren starb Gregorio Allegri
Rom im Frühjahr 1770. Der 14-jährige Mozart besuchte mit seinem Vater Leopold die heilige Stadt. Die Karwoche lockte wie jedes Jahr viele Pilger an. Besonders die ernste Feierlichkeit der Tenebren, der dunklen Metten, zog die Schar der Gläubigen in die Sixtinische Kapelle. Um vier Uhr am Morgen knieten Papst und Klerus in der schwarz behängten Kirche und die Lampen des großen Mettenleuchters wurden eine nach der anderen gelöscht. Dazu erklang eine himmlische Musik: das Miserere von Gregorio Allegri. Der Ruf dieser Komposition, die die Worte des 50. Psalms zum Inhalt hat und bis 1870 jeweils am Mittwoch und Freitag der Karwoche gesungen wurde, war so großartig, daß im 18. Jahrundert kaum ein Romreisender auf das Erlebnis dieser Gottesdienste verzichten wollte. Der Mythos, der um Allegris Miserere entstand, läßt sich nicht nur auf die eindrucksvollen Trauermetten zurückführen, in denen es erklang. Vielmehr wurde es auch deshalb so berühmt, weil es vom Papst wie ein heiliger Schatz gehütet wurde. Das Abschreiben war bei Strafe der Exkommunikation verboten.
Der junge Mozart nahm diese Herausforderung an und lauschte dem Stück sein Geheimnis ab. Nach einmaligem Hören, schrieb er es aus dem Gedächtnis nieder. In einem Brief vom 14. April 1770 berichtet Vater Leopold an seine Frau: „Allein wir haben es schon. Der Wolfgang hat es schon aufgeschrieben, und wir werden es mit nach Hause bringen.“ Ganz so streng wurde das Verbot des Kopierens aber nicht gehandhabt. Es gibt Nachweise, daß der Papst Abschriften des Miserere an Musikhistoriker oder gekrönte Häupter wie den König von Portugal oder den österreichischen Kaiser Joseph II. verschenkt hatte. Und auch von Mozarts genialem „Hör-Streich“ wußte der Papst.
Gregorio Allegri starb am 17. Februar 1652. Lebendig geblieben ist sein Ruhm einzig durch das Miserere, das Jahr für Jahr in Rom erklang und auch heute noch oft zur Aufführung gelangt. Wie aber steht es mit anderen Werken des 1582 in Rom gebürtigen Komponisten? Die Frankfurter Musikwissenschaftlerin Dr. Kerstin Helfricht entdeckte in der Vatikanischen Bibliothek weitere musikalische Schätze aus der Feder Allegris. Tatsächlich befinden sich dort heute noch fünf Messen, vier Hymnen und zwei Lamentationen. Hinzu kommen verschiedene Abschriften des Miserere, die Allegri im Auftrag der päpstlichen Sängerkapelle geschaffen hatte, deren Mitglied er von 1629 bis zu seinem Tod war. Gefördert von Papst Urban VIII., einem großen Kunstmäzen, avancierte Allegri im Laufe seiner 23-jährigen Sängerlaufbahn zu einem der berühmtesten Komponisten am Hofe des Papstes. Seine Werke – nicht nur das Miserere sondern vor allem die Messen und Lamentationen – wurden mehr als 250 Jahre lang in der Sixtinischen Kapelle gesungen.
Das päpstliche Sängerkollegium war ein Ensemble berühmter Sänger und Komponisten, das am Hofe des Papstes für die musikalische Gestaltung der Gottesdienste, der großen Feste und der Prozessionen zu sorgen hatte. Darüber hinaus wurden die besten Sänger, unter ihnen viele Kastraten, zu Opern- und Oratorienaufführungen in- und außerhalb Roms herangezogen. Ein relativ modernes Reglement der päpstlichen Kapelle sicherte auch den älteren und nicht mehr aktiv am Musikbetrieb teilnehmenden Sängern, eine erkleckliche Rente. Doch bevor ein Musiker in den Genuß dieser Privilegien kam, mußte er Mäzene und Förderer finden und sich im Konkurrenzkampf des römischen Musikleben einen Namen machen.
Gregorio Allegri lernte sein Musikerhandwerk „von der Pike auf“. Bereits im Alter von neun Jahren wurde er Chorschüler an der Französischen Nationalkirche. In dem kunstsinnigen und musikalisch gebildeten Herzog von Altaemps fand er seinen Gönner und widmete ihm einen Band mit geistlichen Konzerten. „Das Werk ist bis heute nicht in moderner Notenschrift veröffentlicht worden“, erklärt Helfricht, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Notentext der Stimmbücher aus dem Jahre 1619 in eine moderne Partitur zu übertragen. Die Musikwissenschaftlerin schwärmt von den wundervollen Concertini mit Texten aus dem Hohelied, dem Psalter, den Evangelien oder freier lateinischer Prosa etwa eines Bernhard von Clairvaux.
Außer mit geistlicher Chorliteratur hat sich Allegri aber auch als Instrumentalkomponist einen Namen gemacht. Die lange Zeit verschollen geglaubten Sinfonien, kleine dreisätzige Kirchensonaten für Zink, Violinen, Horn, Theorbe und Orgel, wurden ebenfalls von Kerstin Helfricht wiederentdeckt und werden Schritt für Schritt zur Edition vorbereitet.
„Leider stehen die Partituren nicht rechtzeitig zum 350. Todesjahr des Meisters zur Verfügung“, bedauert Kerstin Helfricht. Doch ist es ihr in Zusammenarbeit mit dem Aschaffenburger Martinushaus und einem ambitionierten Gesangsensemble gelungen, einige Kompositionen Allegris dem langem Schlummer in römischen Archiven zu entreißen und noch in diesem Jahr einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.
erschien in: Würzburger katholisches Sonntagsblatt 149 (2002) Nr.##, S.##
Altöttinger Liebfrauenbote 17.2.2002, S.19
Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt 3.3.2002, S.12
Münchner Kirchenzeitung 17.2.2002, S.9
Kirchenzeitung für das Bistum Aachen (2002) Nr.7, .3
Die Tagespost 26.2.2002, S.10
Manuskript mach einem Entwurf von Dr. Kerstin Helfricht
© Michael Pfeifer