Im Jahre 1910 wurde in Görlitz die große Stadthalle fertiggestellt, die 700 Musikern und 1700 Gästen Platz bietet. In reinem Jugendstil entworfen, war von Anfang an eine Orgel als Prinzipalstück des Raumes geplant gewesen. Beauftragt wurde der damals berühmteste deutsche Orgelbauer Wilhelm Sauer aus Frankfurt/Oder. Mit der Görlitzer Stadthallenorgel vollendete Sauer, der sein Handwerk unter anderem beim französischen Meister Cavaillé-Coll erlernt hatte sein letztes Werk als opus 1100. Es ist dies die einzige von ihm erhaltene Konzertorgel.
Nach Jahren der Unspielbarkeit wurde das Instrument kürzlich von der Firma Vluegels renoviert. Nun erklingen die 72 Register, verteilt auf 4 Manuale und Pedal, wieder in alter Großartigkeit.
Auf dem Programm dieses Orgelportraits stehen zwei große Konzertstücke von Franck (Grande Piece Symphonique) und Rheinberger (3. Sonate). Zwei Choralfantasien von Max Reger („Halleluja Gott zu loben“ und „Straf mich nicht in deinem Zorn“) erklingen zu Beginn. Auch wenn als Grundlage dieser Kompositionen Choräle der protestantischen Tradition dienen, handelt es sich bei diesem Regerschen Genre mehr um konzertante als um liturgische Musik. Jedenfalls sind sie bestens geeignet, den Farbenreichtum der Görlitzer Orgel vorzuführen. Zudem wurden Regers Orgelwerke bekanntermaßen von Karl Straube an seiner Sauer-Orgel probiert und aufgeführt.
Die Interpretation durch den 1959 in Halle/Salle geborenen Reinhard Seeliger gibt kaum zu kritischen Bemerkungen anlaß. Vielleicht wünscht sich mancher die Rheinberger-Fuge mit etwas weniger barockem Non-legato, zumal die Orgel – auch Dank der vorzüglichen Aufnahmetechnik – auch in grundtönigen Passagen nicht dick wirkt. Doch kommt die ganze Rheinberger Sonate dadurch recht prägnant und akzentuiert.
Was die Dokumentation anbetrifft, ist ausgerechnet der Beitrag über die Orgel der sprachlich schwächste. Die ausführliche Disposition vermag das nur schwer auszugleichen. Aufs Ganze gesehen aber die Präsentation einer gelungenen Restaurierung einer bedeutenden Orgel.
publiziert in:
Deutsche Tagespost 15.2.1997