Grechaninov

Alexander Grechaninov: Vespers Liturgy, Op. 59. Mixed Choir, Vivian Klochkov. Gega GD 158.

Grechaninov Vespres LiturgieAlexander Grechaninov (1864–1956) war Schüler N. Rimskij-Korsakovs und in seinen Kirchenkompositionen wie dieser der klassischen russischen Musik verbunden. Er ist einer der späten russischen Kirchenkomponisten, die die Tradition der Petersburger Schule bewahrten. Strenge Homophonie ist die kanonische Vorgabe für die Vertonung der liturgischen Texte. In Gretchaninovs Stil zeigt sich dennoch exquisite Lyrik und epische, nationale Form.

Ein nicht weiter genannter gemischter Chor unter Vivian Klochkov bringt zehn Einzelstücke aus dem ganznächtlichen Gottesdienst, der sich aus Vesper, Morgengottesdienst und eucharistischer Liturgie zusammensetzt, zu Gehör. Psalm 104 (103), der Stationspsalm der Vesper eröffnet die Einspielung. Zwei alternierende Chöre singen dann die Eröffnung des ersten Psalterkathismas, den 1.Psalm „Selig der Mann“. Troparien der Auferstehung (es handelt sich ja um einen Gottesdienst in der Nacht zum Sonntag), Mariengesänge und die Große Doxologie (Gloria mit Trishagion) bilden Ausschnitte aus einem stundenlangen, in seiner mystischen und heilenden Dimension nur durch Mitfeier erfahrbaren Zusammenhang.

Im großen Chor fallen im Forte stellenweise Färbungen einzelner Stimmen auf. Die nicht ausgesungenen Phrasen sind eine verbreitete Unsitte orthodoxer Chöre. Die Aufnahme ist mit geringem Lautstärkenpegel eingespielt, was bei einer CD natürlich noch immer zu befriedigenden Klangreinheit führt. Störend sind an einigen Stellen auffällige Schnitte.

Das englische Beiblatt bietet ausreichende Informationen zum geschichtlichen Werden und theologischem Gehalt des Gottesdienstes sowie zu den einzelnen Stücken, deren slavischer Textanfang beigegeben ist.

Gretchaninovs Vigil ist großartige russische Kirchenmusik, die sich nicht neben den bekannteren Vertonungen von Tschaikovskij oder Rachmaninov zu verstecken braucht. Es ist eine seltene Aufnahme und schon alleine darum zu empfehlen. Der günstige Importpreis für die bulgarische Produktion macht die kleinen interpretatorischen und aufnahmetechnischen Schwächen mehr als wett.


publiziert in:
Deutsche Tagespost 12.8.1995