Orgeln im Kaiserdom

Die Orgeln des Kaiserdoms zu Frankfurt. Hans-Otto Jakob, Orgel. Psallite CD 60111. 1994.

Orgel Frankfurt

Die Stiftskirche St. Bartholomäus in Frankfurt am Main trägt als Ehrenbezeichnung den Titel „Kaiserdom“. Obwohl nie bischöfliche Kathedrale, ist sie aus der deutschen Geschichte nicht wegzudenken, wurden doch über lange Jahrhunderte in ihr deutsche Kaiser gewählt und gekrönt. Bereits für das Jahr 1312 ist hier die erste Orgel beurkundet. Im Zuge der jüngst erfolgten dreijährigen Innenrestaurierung des Doms wurden auch am heutigen Orgelwerk, 1957 mit IV/63 von Klais erstellt, Erweiterungen vorgenommen. Angezielt wurde dabei, der entsprechend damaligem Geschmack „hauptsächlich neobarock ausgerichteten“ Orgel „Register zur stilgerechten Darstellung der großen romantisch-symphonischen Orgel-Literatur“ zuzufügen. Vergleicht man die Dispositionen miteinander (was aufgrund der Angaben im Beiheft allein leider nicht möglich ist), erkennt man den theoretischen Gewinn der Umbauten von 1989 und 1994, die nun ein Orgelwerk mit IV/86 und elektrischer Kegel- und Schleiflade zurücklassen. Nimmt man allerdings Aufnahmen zur Hand, die in den frühen 80er Jahren an der noch „neobarocken“ Orgel entstanden, müßte man sich über ein damals vorgelegtes Programm aus reiner französischer Romantik eigentlich wundern. Pikanterweise klang die Orgel damals aber „romantischer“ als heute in der vorliegenden Aufnahme.

Als mit dem Hauptspieltisch auf der Südempore verbundene Chororgel entstand ein an der nördlichen Chorwand als Schwalbennest aufgehängter Neubau, der ebenfalls von Klais (II/28) ausgeführt wurde und ein Instrument von Walcker aus dem Jahre 1951 ersetzt, das wegen minderwertigem Material und anfälliger Technik nicht mehr zu retten war. Insgesamt ergibt sich also ein Orgelwerk von 114 Registern, das einer Kirche dieser historischen Bedeutung angemessen ist und es sicher verdient, in der Reihe „Das Orgelporträt“ des Labels Psallite vorgestellt zu werden.

Den Domorganisten Hans-Otto Jakob, seit 1987 im Amt, leiteten bei der Programmauswahl zwei Kriterien: der Bezug zum Frankfurter Dom und das Darstellen einer reichen Klangpalette „seines“ Instruments.

Gleich Louis Viernes (1870–1937) zweite Symphonie, die als Hauptwerk das Programm eröffnet, zeigt orchestrale Klangfülle, Mischungen von Streichern, Flöten und Zungen bis hin zum gewaltigen Tutti der Orgel mit kräftig zeichnendem Pedal. Die im ersten Satz immer wieder vorkommenden Akkordballungen wirken, kurz und differenziert angeschlagen, im weiten und halligen Raum des gotischen Doms ausgezeichnet. Gegen Ende kommt auch die neuerbaute Trompeteria zum Einsatz und ergänzt das immer noch sehr mixturenbetonte volle Werk. Ähnlich perlig wie den Kopfsatz der Symphonie hätte man sich das Vierne-typische Scherzo (3. Satz) gewünscht, das etwas undurchsichtig und daher manchmal geradezu langweilig wirkt. Das ganze Engagement des Organisten zeigt sich aber in den Rahmensätzen. Zwar wirken die Zungen deutscher Bauart im geschlossenen Schwellwerk zu wenig rund und sind kleine Passagen etwas ruppig und scheinbar unausgewogen geraten, doch steigert dies die Spannung sehr unmittelbar, wenn man sich vom zupackenden Spiel Jakobs mitreißen läßt. Das silbrig flirrende, barocke Zimbelplenum wird am Schluß durch die Trompeteria „vergoldet“. Es scheint hier angemessener als in den letzten Takten des 2. Satzes.

Wolfgang Amadeus Mozart hielt sich 1790 anläßlich der Krönung Leopolds II. in Frankfurt auf. Hier begann er auch mit der Arbeit an Adagio, Allegro und Adagio f-Moll für ein Orgelwerk in einer Uhr, KV 594. So ist zwar der Bezug zu Frankfurt gewahrt, die Chororgel wäre als für barocke Musik disponiertes Instrument möglicherweise besser mit einem Bachschen Werk zur Geltung gekommen, zumal das eingespielte Flötenuhrstückchen weit davon entfernt ist, zupackend zu wirken. Diesem Eindruck zuträglich ist auch die unpräzise tontechnische Behandlung des Pedals, das vermutlich hinter der Orgel an der Wand steht und auch nur durch diese Reflexion die Mikrophone erreicht.

Carl Heinrich Hartmann (1848–1937) war Organist am Kaiserdom und man verzeiht dem Interpreten gerne die sentimentale Referenz an seinen Vorgänger, zumal die Meditation bei der Communion mit dreieinhalb Minuten nicht mehr als eine nette Zwischenmusik ist. Es werden damit Streicher und Flötengruppen in zeittypischer Harmonik vorgestellt.

Mit Joseph Gabriel Rheinbergers Sonata Nr. 10 op. 146 stellt Jakob Haupt und Chororgel konzertierend gegeneinander. Der erste Satz ist als Präludium und Fuge eine klassische Orgelform „mit allen Künsten der Themenbehandlung“, wie Frotscher in seiner Geschichte des Orgelspiels schreibt. Der folgende Variationssatz greift ebenfalls auf barocke Formen zurück, füllt sie jedoch mit romantischen Mitteln. Das Wechselspiel von Haupt- und Chororgel ist hier bis zu Fernwerkwirkungen gesteigert. Auch die anschließende Fantasie hat weitgehend barocke Struktur und die neobarocke Registrierung tut hier sicher ein Übriges zu diesem Eindruck. Das Finale stellt akkordisch ein choralartiges Thema vor, das schwungvoll und von Laufwerk aufgebrochen, die Sonate beschließt. Nach dem Anhören der vorliegenden Aufnahme muß es scheinen, als lasse sich deutsche Romantik an der erweiterten Frankfurter Domorgel eindrucksvoller wiedergeben als ihr französisches Pendent.

Im Beiheft schreibt der Organist über die Orgeln und Petra Riederer-Sitte über die Werke. Die Disposition ist in der Folge der Registerzüge am Hauptspieltisch wiedergegeben – leider ohne die Veränderungen zu kennzeichnen. Auch enthält das Heft eine Biographie des Organisten.


publiziert in:
Deutsche Tagespost 25.11.1995