Kirchenmusikgeschichte

Eckhard Jaschinski: Kleine Geschichte der Kirchenmusik, Freiburg: Herder 2004, 143 S., ISBN 3-451-28323-9, 9,90 EUR.

In großen Schritten durcheilt der Autor zwei Jahrtausende Musikgeschichte und bereitet das zum Thema Kirche gehörende – von der apostolischen Zeit bis zum Neuen Geistlichen Lied hin – in gut lesbarer Form auf. Die Kapitel 1–8 zeichnen schlaglichtartig Epochen Kirchenmusikgeschichte nach. Daß es sich dabei eher um Epochen der Liturgiegeschichte handelt, und die musikalische Entwicklung zunächst in Abhängigkeit von gottesdienstlichen Vollzügen dargestellt wird, wird dem Leser schnell deutlich. Diese Sicht des Autors – immerhin ist er Liturgiewissenschaftler an der Ordenshochschule der Steyler-Missionare in St. Augustin und nicht etwa Kirchenmusiker – ist durchaus zielführend. Man spürt es bereits in den ersten Kapiteln, in denen man aufgrund der Quellenlage nur allgemein Texte zur Liturgie, nicht aber Gesangbücher oder gar einzelne Kompositionen auswerten kann.

Demgegenüber ist bemerkenswert, daß schon der Klappentext des Buches zwischen „Musik in der Feier des Gottesdienstes“ und „Kirchenmusik als autonome Kunstform“ unterscheidet. Diese prinzipielle Differenz wird leider nicht systematisch, sondern nur im Rahmen der jeweiligen Chronologie betrachtet, ist aber gleichwohl für heutiges Empfinden maßgebend.

Was das Inhaltsverzeichnis undifferenziert „Einleitung“ nennt, breitet auf mehr als zwanzig Seiten – neben einer Begriffsscheidung von „Kirchenmusik, Musica sacra, geistliche Musik“ – eine anthropologische, theologische und liturgische Annäherung an das Phänomen aus. Es geht dabei um biologische, kulturelle und therapeutische Dimensionen ebenso wie um die schon von Platon eingeführte und maßgeblich von Schelling und Nietzsche entwickelte Scheidung zwischen apollinischen und dionysischen Künsten, die auch Joseph Ratzinger im Kern seiner Überlegungen zur Kirchenmusik übernommen hat.

So verdienstvoll diese interesseweckende Einleitung ist, steht sie doch – was die theologische Dimension angeht – zu sehr unter der Kirchenmusikdefinition des II. Vaticanums, die mehr oder weniger deutlich im Motu proprio Pius’ X. aus dem Jahr 1903 gründet. Man hätte sich – analog zu der folgenden historischen Betrachtung des Themas – mindestens bei der theologischen Grundlegung auch einen Blick in die ältere Theologiegeschichte gewünscht.

Die für den Umfang des Buches notwendige, in sich aber fragwürdige Beschränkung auf die „katholische“ Kirchenmusik wird wenigstens durch einen Seitenblick auf die deutschsprachige Reformation, vom Gesangbuch bis hin zu Johann Sebastian Bach, aufgebrochen. Der letzte Abschnitt „Vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis zur Gegenwart“ widmet breiten Raum den „Aussagen zur Kirchenmusik in gesamtkirchlichen Dokumenten“, läßt Namen wie Rohr, Quack, Schieri und Doppelbauer nicht unerwähnt und widmet sich abschließend auf acht Seiten dem Neuen Geistlichen Lied im deutschen Sprachraum – immerhin acht Prozent des Umfangs des historischen Teils! Die Überschrift über diesem letzten Kapitel lautet demnach auch „Elitäre und populäre Kirchenmusik“ und ein Ausblick führt in die „Musik der Stille“, die der Autor in der Zukunft erwartet.

Warum Verlage immer noch fürchten, 135 Fußnoten verschreckten – stünden sie am Fuß der 130 Seiten – potentielle Käufer von Büchern, ist wohl einer unausrottbaren Zeitgeist-Ideologie geschuldet. Verdienstvoll ist der doppelseitige tabellarische Überblick in Form einer Zeittafel am Schluß des Buches, die Liturgie und Kirchenraum, Musik, Musiker und Komponisten sowie Kirchliche Erlasse in übersichtlicher Form aufführt.

Das gut und flüssig lesbare Bändchen bietet einen guten Überblick über die „katholische“ Kirchenmusik. Für den Kenner finden sich darüber hinaus etliche Horizonterweiterungen.


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