André Jolivets Musik ist hierzulande weitgehend unbekannt und das, obwohl er zusammen mit Musikern wie Messiaen der Gruppe Jeune France angehörte. Diese 1936 gegründete Vereinigung war mehr spiritueller als musikalischer Natur und so hatte jeder aus diesem Kreis eine eigene musikalische Entwicklung vor sich. Steht Messiaen mehr für Himmel und Regenbogen, so war Jolivets Element die Erde. Er suchte die ursprüngliche Dimension der Musik, ihre magisch-religiösen Wurzeln freizulegen. In atonalen und modal-tonalen Systemen erschafft Jolivet beeindruckende Klänge, die diesen ganz persönlichen Zugang des Komponisten zur Musik bekunden.
Die Aufnahme wird eröffnet von einer Hymne à Saint-André aus dem Jahre 1947. Der schon fast orientalische Duktus der Sopranstimme wird von der Orgel begleitet. Anders als diese intensive, innerliche Musik zeigt die Hymne à l’Univers (1961) fast schon hymnische Gewalt. Obgleich für Orgel allein geschrieben, erinnern große monodische Passagen an Stimmen, die diese Hymne vortragen. Daniel Roth verleiht ihr an der Orgel der St.Victor-Basilika vielfältige Farben. Wenn der Titel Arioso barocco und die Besetzung für Trompete und Orgel auch einen historisierenden Stil assoziiert, kann dies nur für den formalen Aufbau, die lyrische Struktur und die Ornamentik, gelten. Einmal mehr zeigt Jolivet hier seine einmalige Gabe, Melodien zu entwickeln. Mandala aus dem Jahre 1969 ist sicherlich Jolivets bekanntestes Orgelwerk. Es handelt sich um den Versuch, die spirituelle Idee des Mandalas von der graphischen in die klangliche Ebene zu transformieren. Das abschließende Nocturne fällt durch aufgrund seiner Besetzung (Cello und Klavier) aus der vorliegenden Aufnahme heraus. Geprägt durch fließende Akkorde und gesangliche Melodien spannt das im August 1943 komponierte noch ganz romantische Werk den Bogen zur einleitenden Andreashymne.
Es ist eine reizvolle Aufnahme, die da in Koproduktion mit dem Französischen Rundfunk bei Arion vorgelegt wurde. Technik wie Ausstattung (Beiheft in Französisch und Englisch) ist professionell.
publiziert in:
Deutsche Tagespost 28.8.1998