Vierhundertsechzig Seiten „Einführung in Geist und Gestalt der bischöflichen Liturgie im byzantinischen Ritus der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine“ erscheinen reichlich speziell, zumal wenn eine solche Studie von katholischer Seite vorgelegt wird. Gleich im Vorwort nimmt der Autor – seit 1988 Professor für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn – denn auch die möglichen Einwände vorweg und beruft sich auf ein gemeinsames kulturelles Erbe der Menschheit, will die Riten des Ostens nicht als Eigentum einer Konfession, sondern als Gabe Gottes verstanden wissen.
In Kunzlers Buch folgt nach einer dogmatischen Grundlegung über die Theologie der Liturgie und der Ämter ein kurzes geschichtliches Kapitel über die griechisch-katholische Kirche und die byzantinische Liturgie. Die „Rahmenbedingungen“ für den Gottesdienst entfaltet der Autor unter den Stichworten Leiblichkeit, Sprache, Musik, Gewänder, Geräte, Naturdinge und Gottesdienstraum. In einem eigenen Kapitel wird das Kirchenjahr anhand der großen Feste vorgestellt; selbstverständlich wird dabei auch die Kalenderfrage angesprochen. Es folgt die eigentliche Liturgieerklärung (134 Seiten) in drei Teilen: Vorbereitung, Katechumenen- und Gläubigenliturgie. Anregung zur Gestaltung eines Dies orientalis in den Pfarreien hierzulande runden die Ausführungen ab. Am Schluß ist der Ritus der Liturgiefeier in Deutsch und Ukrainisch im klassischen Zweifarbendruck wiedergegeben.
Bereits auf dem Buchumschlag bekennt der Autor, es gehe ihm darum, „Unbekanntes in Theologie und Gottesdienst aus dem Osten mit Bekanntem aus der eigenen westlichen Tradition zu vergleichen und miteinander zu erklären, so daß über den Umweg über eine fremde Kirchlichkeit diese nicht nur dem Glaubenden nähergebracht wird, sondern dieser seine eigenen abendländischen Traditionen in neuem Licht zu sehen lernt und möglicherweise neu zu lieben beginnt.“ Ist hier ein Plädoyer für die „Schönheit“ der römischen Liturgie über die Hintertür der byzantinischen intendiert? Ein solcher „Workaround“ wäre sicher unverhältnismäßig. Auch täte man Kunzler Unrecht, wollte man sein Archieratikon allein darauf reduzieren. Dennoch spürt man auf fast jeder Seite, daß der Autor unter derzeitigen Fehlentwicklungen des katholischen Gottesdienstes leidet und meist kann man nicht umhin, ihm in seinen Analysen zuzustimmen. So wendet er sich beispielsweise gegen jene, die die Welt, so wie sie ist, in Verkündigung und Liturgie hereinholen wollen, und fragt, ob die Menschen „Theologie und Gottesdienst als religiöse Durchlauferhitzer für das aus dem Alltag sattsam Bekannte“ (S. 15) nötig hätten. „Veranstaltungen von teuflischer Langeweile und trostloser Öde als Spiegel einer unerlösten Welt“ (ebd.) seien die Folge. Genau dadurch wird Liturgie im letzten lebensfern, begibt sie sich doch des ihr Eigensten: nicht die Welt soll sie spiegeln, sondern ein Fenster zu einer anderen Welt öffnen, nicht dem Irdischen soll sie Raum geben, sondern dem Himmlischen Bahn brechen. Solche Liturgie ist wahrhaft Gottes Dienst am Menschen, vermag sie doch zu beglücken und zu trösten. Kunzler bekennt, von dieser Freude an der Göttlichen Liturgie angesteckt worden, gar ihretwegen Priester geworden zu sein.
Mit profunder Sachkenntnis und teils ausgesprochen detaillierten Informationen erschließt er die fremde Welt byzantinischer Gottesdienste. Dabei geht er stets vom konkreten Phänomen aus, wie es im Archieratikon niedergelegt ist, erläutert sodann das geschichtliche Werden – meist im Vergleich mit westlichen Traditionen – und gibt theologische Deutungen. Natürlich kann und will ein solches Buch kein spiritueller Begleiter für die Feier der Liturgie sein, doch wird gerade der, der sich ihm nicht primär im wissenschaftlichen Interesse nähert, großen Gewinn daraus ziehen.
Die „geradezu unverschämte Lust“ (S. 14) der Byzantiner an Pracht und Prunk, an Farben, Lichtern und Gerüchen ist es, was westliche Besucher oft am nachhaltigsten beeindruckt. Lustvoll Gottesdienst zu feiern: dieses Buch ist ein einziges Werben dafür. Schade, daß dies der Verlag durch die Preisgestaltung verunmöglicht hat; auch Umschlag und Typographie hätten mehr Aufmerksamkeit verdient. Anders als erwartet ist es aber keineswegs ein Titel für Spezialisten, vielmehr sollte es Pflichtlektüre gerade für westliche „Liturgieschaffende“ werden.
publiziert in:
Deutsche Tagespost