Die Neuerscheinungen alter geistlicher Musik der letzten Jahre zeigen eine zunehmende Tendenz, Kompositionen in ihrem originären Zusammenhang vorzustellen. Dieser Rahmen einer zumindest imaginären Liturgiefeier ermöglicht dem Hörer eine bessere Einordnung der sonst nur konzertant erklingenden Musik und führt dadurch erst zu größerem Verständnis.
Die Mönche der Zisterzienserabtei Marienstatt im Westerwald wählen diesen Weg zu einem anderen Zweck. Ihre nunmehr erschienene CD zeichnet nicht nur eine „Als-ob-Liturgie“ nach, sondern beinhaltet echte Live-Aufnahmen aus dem klösterlichen Gebet.
Den Anfang macht die (vollständige) Vesper zum Fest des Ordensgründers der Zisterzienser, des hl. Bernhard von Clairvaux. Es folgen Ausschnitte aus Messe und Vesper des Hochfestes der Aufnahme Mariens, dem Kirchenpatrozinium von Marienstatt. Drei Improvisationen für Flöte und Orgel über liturgische Themen runden die Einspielung ab.
Bemerkenswert ist dabei die spezielle Form des zisterziensischen Chorals, die in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand. Im Rahmen dieser Reformbemühungen verzichteten die Mönche – wie allgemein in ihrer Lebensart – auch in der liturgischen Musik auf überwucherndes Gepränge.
Die Professionalität der Mönche ist eine andere als die von Künstlern, die etwa gregorianischen Choral interpretieren. Ihr täglicher Umgang mit den tradierten Formen lateinischer Kirchenmusik, macht sie zu „Könnern“ ganz anderer Art. Es ist die Authentizität im ursprünglichsten Sinne, die besticht. Choral ist hier nicht Kunst, sondern Gebet. In diesem Sinn gestimmt sieht man gerne über Intonationsschwächen des Mönchschors und das zuweilen arg aufdringliche Knarren des Chorgestühls hinweg. Besonders angenehm ist die sensible und zugleich variantenreiche Begleitung der Psalmverse durch den Abteiorganisten Fr. Gregor Brand, der sich dabei teilweise an Vorlagen seiner Mitbrüder aus dem vergangenen Jahrhundert orientierte.
Die CD, die zum 900. Jubiläum des Ordens erscheint, will eine mediale Brücke der Gebetsgemeinschaft schlagen. Das großzügige und bebilderte Beiheft trägt dazu bei, indem es alle Texte in Lateinisch und Deutsch und darüber hinaus Beiträge zu Geschichte von Orden und Abtei sowie zur Spiritualität enthält. Wegen der gewollt modernen Gestaltung ist es leider stellenweise schwer lesbar. Wenn nicht nur Besucher der Abtei gerne zu dieser Aufnahme greifen werden, dann wohl deshalb, weil die uralte Form römischer Liturgie fasziniert, einer jenseits aller „Puppenkisten-Gottesdienste“ lebendigen Liturgie, der auch heute kulturbildende Kraft zu wünschen wäre.
publiziert in:
Deutsche Tagespost 10.1.1998