Klais-Orgel in Münsterschwarzach

Die Klais-Orgel in der Abteikirche Münsterschwarzach. Dominikus Trautner, Orgel. Psallite CD 60081. 1995.

Orgel Münsterschwarzach

Während vielerorts Orgeln aus den 30er und 40er Jahren – wo es sie überhaupt noch gibt – aufgrund von Materialermüdung, technischen Problemen und nicht zuletzt wegen des gewandelten Geschmacks bezüglich Disposition und Intonation entfernt werden, werden sie anderswo als Meisterstücke einer dunklen Zeit wiederentdeckt. Beides blieb der Schwarzacher Münsterorgel erspart.

Sie wurde 1937 als Opus 873 von Hans Klais nahezu zeitgleich mit der am 16. März 1945 untergegangenen Würzburger Domorgel für die monumentale Basilika Albert Boßlets erbaut. Wegen der drohenden Kriegsgefahr war ein solches Projekt nur mit staatlichen Auflagen durchzuführen, die hauptsächlich die Verwendung von edlen Metallen betrafen: auch in Münsterschwarzach mußte man sich oft mit Zink anstelle von Zinn behelfen. Dennoch machen die Disposition und vor allem die Intonation der Orgel (IV/60) sie zu einem bedeutenden Zeitdokument. Auch ein „Wiederentdecken“ ihrer Qualitäten war nicht nötig, bewahrte sie doch die tägliche Verwendung zum Chorgebet der Mönche, die 1945 ihre vier Jahre zuvor von den Nazis aufgehobene Abtei wieder besiedelten, vor dem Vergessen. Und etliche Tonaufnahmen zeugen davon, daß die Benediktiner schon immer hervorragende Organisten in ihren eigenen Reihen hatten. Der neue Hauptorganist der Abtei P. Dominikus Trautner stellt die Orgel seiner Klosterkirche in der verdienstvollen Reihe Das Orgelporträt mit einem reizvollen und maßgeschneiderten Programm vor.

Ein Marche triomphale des belgischen Ahnherrs der neuen französischen Orgelschule J.-N. Lemmens (1823–1881) eröffnet die Folge. Von T. Dubois, (1837–1924) dem Nachfolger Saint-Saëns an der Kirche St. Madleine in Paris ist neben der bekannten, schwungvoll musizierten Toccata G-Dur, in deren Mittelteil Klangfarben kontrastierend zur Geltung kommen, ein Offertoire aus der Messe de mariage zu hören.

Aus den Bachchorälen der Schüblerschen Sammlung sind drei ausgewählt: Wo soll ich fliehen hin bringt Register aus dem Weitchor zu Gehör, die Choralmelodie Ach bleib’ bei uns, Herr Jesu Christ ist mit einer Sesquialtermischung geführt und in Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter kontrastiert ein farbiges Ritornell mit dem cantus firmus in einer Zungenstimme. Die charakteristischen Register und Triomischungen zeigen, daß die Orgel auch für Barockmusik gut geeignet ist – ebenso wie für französische und deutsche Romantik.

Für letztere stehen in der vorliegenden Aufnahme zwei Orgelwerke von M. Reger (1873–1916). Der Dankpsalm op.145b Nr.2 unter der Verwendung der Choräle „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ und „Lobe den Herren“ und die Choralfantasie „Straf mich nicht in deinem Zorn“ op.40 Nr.2 bringen die großartige Klangfülle des Instruments vielleicht am angemessensten zum Ausdruck. Die Wandlungsfähigkeit gerade in grundtönigen Flöten und Streichern, die Hans Klais so meisterlich zu intonieren verstand und die gerade für das gesungene Offizium der Mönche wichtig sind, zeigen sich in etlichen Partien der Fantasie. Bemerkenswert sind auch die weichen Zungenplena in den durchsichtig und zupackend gespielten Stücken.

Grandioses Finale bilden zwei Werke L. Viernes (1870–1937). Der 5. Satz aus seiner 6. Symphonie und das Carillon des Westminster aus den Fantasiestücken op.54. Das Final zeigt über weite Strecken die Mixturbetontheit der Klais-Orgel in den Plena, aber auch warme Zungenmischungen kommen zur Geltung. Die Übersetzung dieser französischen Musik, die an einer Cavaille-Coll Orgel komponiert wurde, ist als gelungen zu bezeichnen. Schon in der Aufnahme ist es faszinierend, das Carillon auf der deutschen Klais-Orgel zu hören. Wie erst muß die Wirkung im Chorgestühl sein, wenn von beiden Seiten, des in Nischen des Chorgewändes untergebrachten Instrumentes die Glocken von Westminster ertönen. Mit dieser Toccata endet ein ansprechendes und virtuoses Programm an einer bedeutenden Orgel.

Trautner musiziert souverän und beherrscht „seine“ Orgel vorzüglich. Orgelporträts verbinden wie bei keinem anderen Instrument Orgel, Raum und Interpret zu einer Gesamtvorstellung und sind darum wirkliche Dokumente.

Das Beiheft bietet gute Informationen zu Orgel (mit Disposition und Abbildung des originalen Spieltisches) und eine Biographie des Organisten. Besonders hervorzuheben sind die ausgezeichneten Werkeinführungen von Johannes Martzin, der auch für die Tontechnik, der im Februar 1995 entstandenen Aufnahme verantwortlich zeichnet.


publiziert in:
Deutsche Tagespost 16.12.1995