Nacht der Jungfrau

Freddy Derwahl: Die Nacht der Jungfrau. Erzählung einer inneren Reise zum Berg Athos, Eupen: Grenz-Echo-Verlag 1991, 202 S., ISBN 3-923099-85-1, ca. 34 DM.

Athos: Nacht der Jungfrau

Derwahl, Mitglied des belgischen PEN-Clubs und Romanautor, erzählt auf ganz andere Art vom Heiligen Berg. In vielen nur wenige Seiten umfassenden Kapiteln gibt das tatsächliche Wandern von im Garten der Jungfrau nur den äußeren, gleichwohl durchaus bedeutsamen Rahmen für eine „innere Reise“.

Jeder Abschnitt hat über das Berichten des Geschehens hinaus noch weitere Dimensionen. Wenn Gespräche mit Mönchen und Pilgern wiedergegeben werden, möchte man meinen, über Ökumene, Politik, Nachfolge Christi oder die Liebe, lasse sich überall reden. Dennoch führen die Worte nicht weg von dem Ort, an dem sie gesprochen werden, sondern eröffnen eigentlich erst das Tor zu dieser heiligen Welt. Der Athos ist eben nicht nur eine Ansammlung vieler byzantinischer Kirchen und Klöster, er ist nicht nur skurrile Republik unter mönchischer Verwaltung, sondern ein Ort, an dem um ein heiliges Leben gekämpft wird und von dem darum spirituelle Impulse ausgehen.

Auch historische Informationen durchbrechen nicht den Atem verhaltener Poesie, sie stellen vielmehr Zusammenhänge her, die zugänglich machen, was sonst fremd wirkte. Wird einfach nur beschrieben, so stehen die Worte Derwahls in ihrer Imaginationskraft in nichts den Aquarellen von Willy Emonts nach, die das Buch schmücken.

Derwahl schlägt häufig den Bogen zur Erfahrungswelt des Mitteleuropäers, sei es in gesellschaftlicher oder religiöser Hinsicht. Aber er wertet dabei nicht. Nicht Besser oder Schlechter sondern Fremdheit oder Interesse sind seine die Alternativen.

In sein Interesse, sein Verständnis fühlt man sich als Leser hineingenommen. Fast sitzt man selbst am Sterbebett des greisen Geronta in Hagia Anna und erlebt sein gehauchtes „Christos anesti!“ in der Osternacht.

„Die Nacht der Jungfrau“ ist eine Perle in der größer werdenden Menge der Athos-Literatur und zu Unrecht kaum bekannt.


publiziert in:
Der christliche Osten 50 (4/1995) 223f