Orgel-Mephisto

Mussorgsky: Bilder einer Ausstellung, Stravinsky: Drei Tänze aus Petruschka. Transkribiert und aufgenommen von Jean Guillou an der Orgel der Tonhalle Zürich. Dorian Recordings DOR 90117.

Mussorgsky Stravinsky GuillouJean Guillou ist ein Mephisto auf der Orgel. Unter seinen Händen wird die Orgel zum Orchester, nicht zum homogenen romantischen gleichwohl, sondern zum individuellen Riesen-Ensemble. Die unglaublichen Klänge, die er erreicht scheinen Pfeifen zu entstammen, die wilde Tänze vollführen, von aberwitzigen Rhythmen angetrieben.

Da sind zunächst die Petruschka-Tänze, die Guillous Bearbeitungskunst illustriert. Stavinsky hatte bei der Niederschrift der ersten Skizzen zum späteren Ballet an ein Klavierkonzert gedacht. Und konsequenterweise bearbeitete er das Bühnenstück später auch für ein und zwei Klaviere. Seine Gestaltungsprinzipien und eigene schöpferische Gabe Guillous fließen in der Orgelfassung zusammen. Diese Bearbeitung ist eine neue Analyse, die zu einem neuen Erleben dieser Musik führt. Die Vielschichtigkeit der Musik wird auf die Klangebenen der Orgel derart virtuos verteilt, daß man nicht länger an nur einen Organisten zu glauben bereit ist. Guillou hat die Sätze sich und der Orgel auf den Leib geschrieben.

Die Züricher Tonhalle ist einer der bedeutendsten Konzertsäle Europas. Ihre Akustik bringt feine Klangnuancen prägnant hervor. Anders als in einer Kathedrale muß daher auch die Orgel ausgeprägte solistische Fähigkeiten besitzen. Guillou, der diese Orgel konzipierte führt eindrucksvoll, daß mit den Solo-Qualitäten einzelner Register auch ihre Mischfähigkeit zunimmt. Ebenso durchsichtig wie machtvoll ist das Klangbild, das von vorbildlicher Aufnahmetechnik unterstützt wird.

Die phänomenale klangliche Gestaltungskraft Guillous ist es, die auch Mussorgskys Bilder einer Ausstellung zu einem Erlebnis werden lassen. Eine „Instrumentierung“ ist zu hören, die der Ravels an Genialität nicht nachsteht, gleichwohl sich ganz als ein Werk unserer Zeit präsentiert.

Das ausführliche Beiheft enthält neben der Disposition der Orgel auch Beiträge Guillous zu Transkription und Orgel. Diese CD ist eine Perle für den, der das Besondere liebt.


publiziert in:
Deutsche Tagespost 31.8.1996