Musik – gerade religiöse, geistliche Musik – ist vielleicht der tiefste und ergreifendste Seelenausdruck des Menschen, gleich in welcher Kultur er lebt oder welcher Religion er angehört. Im Bewußtsein, daß es keinen wirklichen Frieden unter Menschen und Staaten geben kann ohne Verständigung zwischen den Religionen, hat der Dalai Lama mit Blick auf die bevorstehende Jahrtausendwende zu einem Weltfest sakraler Musik eingeladen. Die Initative wird zudem unterstützt von namhaften politischen und geistlichen Führern, darunter Präsident Vaclav Havel, Erzbischof Desmond Tutu, Pandit Ravi Shankar, Yehudi Menuhin oder Danielle Mitterand. Das Festival startet im Oktober 1999 in Los Angeles und endet im nächsten Jahr in Bangalore mit einem großen Finale.
Die in diesem Zusammenhang erschienene Doppel-CD setzt das Anliegen des Dalai Lama exemplarisch für Europa um, indem es Musik vieler Völker und Zeiten vereint: Die Gesänge kommen aus Rußland, dem Baltikum, Andalusien, Sardinien, Bulgarien oder Ungarn, aus der Folklore wie der Liturgie, aus jüdischen, byzantinischen, islamischen oder mittelalterlich-lateinischen Quellen. Fünf zeitgenössische Kompositionen verdeutlichen schließlich, daß auch heute noch sakrale Musik von hohem Rang und dichter Spiritualität entsteht. Die Ensembles dieser Einspielung bemühen sich zumeist um die Wiederentdeckung klassischer oder archaischer Gesangstechniken und musizieren durchweg auf höchstem künstlerischen Niveau. Es entsteht ein faszinierendes Hörerlebnis, eine wirkliche Horizonterweiterung. Auch wenn das Beiheft nicht alle Fragen (manche gar unkorrekt) beantwortet, ist diese CD unbedingt eine Empfehlung wert. Die religiösen Traditionen Europas sind hier – fernab allgegenwärtiger Weltmusik-Sampler – in seltener Eindringlichkeit und wirklicher Authentizität präsentiert.
publiziert in:
Würzburger katholisches Sonntagsblatt 30.7.2000