Beim Publikum von Orgelkonzerten mag sich zuweilen die ungläubige Frage einstellen, wie denn ein Mensch allein so viel „Krach“ machen könne. Daß man auch an der Orgel noch dazu vierhändig (und vierfüßig) musizieren kann, muß für solchermaßen Trompeteria-geschädigte Zeitgenossen wie ein Alptraum wirken. Kompositionen aus Renaissance, Barock, Klassik, Romantik und Moderne beweisen jedoch, daß sich immer wieder Liebhaber für diese Möglichkeit fanden, das vielfältige Klangangebot einer Orgel besser auszuschöpfen, als dies einem einzelnen Spieler möglich wäre. Elisabeth Sperer und Winfried Englhardt konzertieren seit vielen Jahren zusammen am Spieltisch einer Orgel und waren damit eines der ersten „Orgelduos“ unserer Tage. Neben der Pflege des – zugegebenermaßen recht bescheidenen Repertoirs – wurden durch ihre Arbeit auch Komponisten unserer Tage angeregt, Musik für diese Besetzung zu schreiben. Sperer und Englhardt stellen diese Werke nun an der großen Klais-Orgel des Münsters zu Ingolstadt vor.
Am Beginn steht ein choralgebundenes Werk von Harald Genzmer (*1909), des wohl bekanntesten der auf der CD versammelten Komponisten. Nach der Komposition Sterbender Tag in Mähren von Andreas Willscher (*1955) erklingt die bemerkenswerte Komposition Confutatis von Roland Leistner-Mayer (*1945). Das auf Versen des Requiem basierende Werk ist von symphonischer Dramatik und Dynamik. Die virtuosen Partien gipfeln in einem unisono geführten Doppelpedalsolo, das sich in Rhythmik und Tempo steigert. Nach drei freitonalen, inhaltlich zusammengehörenden Skizzen Winfried Englhardts selbst, erklingt eine Komposition von Franz Xaver Lehner (1904–1986). Die atonale „Fantasie und Fuge“, als die man sie bezeichnen könnte, strahlt vor allem in ihrem fugierten Teil in hohem Maße Spielfreude aus. Das abschließende Abendrot von Robert Delanoff (*1942) schichtet ganz gemäß seiner programmatischen Absicht Klangfarben gegeneinander und nimmt mit ostinaten, an Minimal-Music gemahnende Rhythmen gefangen.
Sperer und Engelhardt haben die durch ihre interpretatorische Arbeit angeregten Werke souverän in ihr Repertoire integriert. Zusammen mit den klassischen oder klassisch gewordenen Stücken von Merkel oder Langlais stellen sie eine echte Bereicherung von Orgelkonzerten für vier Hände und vier Füße dar.
publiziert in:
Deutsche Tagespost 19.1.1999