„Weh euch, die ihr schon früh am Morgen hinter dem Bier her seid“

(Jes 5,11)

 

Schon in biblischer Zeit spielte Alkohol eine große Rolle im täglichen Leben

Gerste, Hopfen und Wasser. Seit 1516 verbietet eine Verordnung, die auf den Bayernherzog Wilhelm IV. zurückgeht, andere Zusatzstoffe zum Bier. Doch die Braukunst ist viele Jahrtausende älter als das deutsche Reinheitsgebot. Nachweisbar ist Bier im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris spätestens seit dem 4. Jahrtausend vor Christus. „Vermutlich waren es die Sumerer, die dort in Mesopotamien das erste Bier brauten“, weiß Dr. Erasmus Gaß. Er ist Assistent am Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch orientalische Sprachen an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Zusammen mit seiner Kollegin Lisa Völling vom Lehrstuhl für klassische Archäologie führte er im Sommersemester 2001 ein Seminar zu Bier und Wein im Alten Orient durch. Die jungen Wissenschaftler untersuchten mit Studierenden der beiden Fachrichtungen die Kulturgeschichte des Alkohols in Mesopotamien, Syrien, Palästina und Ägypten. Der Schwerpunkt lag dabei auf archäologischen Zeugnissen und Texten aus der Bibel. In einer Art Selbstversuch brauten und verkosteten die Alkoholhistoriker darüber hinaus mesopotamisches Bier nach erhaltenen Originalrezepten. Schon die Zutatenliste macht deutlich, wie wenig der Trank, der vor fünftausend Jahren im Krug des Orientalen schäumte, mit dem zu tun hat, was wir heute Bier nennen. Neben Wasser und Gerste wanderten damals nämlich auch Feigen und Datteln, Senf und Kardamom in den Gärbottich.

Goldpokal aus Marlik (12.–11. Jh. v. Chr.)

Der Alttestamentler Dr. Erasmus Gaß hat Bier nach sumerischen Rezepten gebraut. Auf dem Flaschenetikett ist die Göttin Ninkasi abgebildet.

Daß sich ausgerechnet Theologen mit dem Alkohol beschäftigen, hält Dr. Gaß nicht für außergewöhnlich. „Für den antiken Menschen war die Welt des Heiligen noch nicht so von der Welt des Alltags getrennt, wie wir das heute erleben“, erklärt er. Die Lebenswirklichkeit der Menschen von damals habe stets ihre Entsprechung im Übernatürlichen gehabt. Und nicht zuletzt sei der Wein eine der beiden eucharistischen Materien bei der christlichen Mahlfeier. Viele frühe Kulturen sahen im Alkohol ein Geschenk der Götter. So lehrte Osiris die Ägypter den Anbau von Wein und die Herstellung von Bier. Dem Griechen Ikaros übergab der Weingott Dionysos eine Rebe und lehrte ihn die Weinbereitung. Als der gelehrige Winzer das fertige Produkt allerdings seinen Gästen vorsetzte, erschlugen sie ihn in der Meinung, Ikaros wolle sie vergiften. In diesem Mythos bereits zeigt sich die Verbindung von positiver Kulturleistung und negativen Folgen der Trunkenheit. Ähnlich ambivalent gestaltet auch die Bibel den Mythos von der Erfindung des Weinbaus. Im 9. Kapitel der Genesis wird erzählt, wie der erste Weinbauer Noah trunken und nackt in seinem Zelt lag. In diesem Zustand erblickte ihn sein Sohn Ham, was nach des Vaters Erwachen ein heftiges Nachspiel haben sollte.

Noah, der erste Winzer, berauscht sich am Wein und schläft nackt seinen Rausch aus. Mosaik in der Vorhalle von St. Marco, Venedig.

Im Zweistromland kannte man keine Erzählung von der Erfindung des Alkohols. Aber immerhin war mit Ninkasi eine eigene Göttin für das Bierbrauen zuständig. Daß es eine weibliche Gottheit ist, deutet darauf hin, daß in Mesopotamien die Frauen fürs Bierbrauen und für den Ausschank zuständig waren. „In Städten wie Uruk, Nippur oder Babylon gab es regelrechte Bierkneipen“, erläutert Dr. Erasmus Gaß und gibt zu verstehen, was sich dort außer gemütlichem Zechen noch alles abspielte. Auf jeden Fall war es Priesterinnen bei Todesstrafe verboten, ein solches Etablissement zu betreten.

Etikett der Bierflaschen mit nach sumerischem Rezept gebrautem Bier. Im Zentrum die Göttin Ninkasi.

Während in Mesopotamien und weiten Teilen Ägyptens – den landwirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechend – vorwiegend Bier erzeugt wurde, labte man sich in anderen Regionen zumeist am Wein. So gab es im syrisch-palästinischen Raum auch Weinwirtschaften, in denen meist private Festlichkeiten stattfanden. Diese eigentlich in reiner Männerrunde veranstalteten Gelage waren gesellschaftlich akzeptierte Feiern der Trunkenheit. Die Gäste wurden offiziell eingeladen und zu ausgelassener Fröhlichkeit ermuntert. So sind beim Propheten Jesaja die Worte eines pflichtvergessenen Regierungsbeamten zu lesen: „Kommt her, ich hole Wein. Wir trinken uns voll mit Bier. Und wie heute, so soll es auch morgen sein; hoch soll es hergehen.“ (Jes 56,12) Doch finden sich in der Bibel auch Hinweise, daß es nicht nur Alkoholexzesse gegeben hat. So luden Hiobs Söhne ihre Schwestern (und damit auch deren Mägde) zu rauschenden Parties ein (Hiob 1,4; 4,5), bei einem Bankett kam es gar zu einem Übergriff auf die Königin selbst (Est 7,8) und auch der Weisheitslehrer Ben Sirach mahnt: „Streck dich nicht mit einer Verheirateten zum Weingelage hin, sitz nicht berauscht mit ihr zusammen.“ (Sir 9,9)

Abseits von Festen und Feiern galten dem Gilgameschepos das alltägliche Brotessen und Biertrinken als Handlungen, die einen erst zum Menschen machten. Dabei trank man das Bier anfänglich mit Röhrchen aus einem gemeinsamen Gefäß. Damit konnten die festen Stoffe im Gebräu zurückgehalten werden. Erst in späterer Zeit begann man das Bier vor dem Ausschank zu filtrieren.

Wenn wir heute vom Bier als „flüssigem Brot“ sprechen, hat das übrigens nicht nur mit seinem Nährwert zu tun, erläutert der Theologe Gaß, der nun schon einige Erfahrungen im Zubereiten mesopotamischen Bieres gewonnen hat. Wie seinerzeit im Alten Orient war es auch im Würzburger Sudkessel eingebrocktes Bierbrot, das vergoren wurde. Was in diesem Gärbottich tatsächlich vor sich geht, galt den Menschen vor viertausend Jahren aber als großes Geheimnis, wie sich an sumerischen Sprichworten zeigt. Zusammen mit der unerklärlichen berauschenden Wirkung rückt es den Alkohol noch weiter in die mystische Welt.

Diese transzendierende Wirkung von Bier und Wein machte ihn auch zum geeigneten Geschenk an die Götter. Man goß Wein über das Götterbild oder schüttete ihn vor dem Altar aus. Solche Trankopfer waren auch im Tempelkult Israels üblich (vgl. Num 28,7). Zudem war Wein ein kostspieliges Luxusgut und damit ein Symbol des Überflusses und göttlichen Segens.

Zwei Zecher trinken mit Rohren aus dem Bierkrug. Abdruck eines Rollsiegels aus Nuzi.

König Assurbanipal mit seiner Gemahlin beim Bankett in der Weinlaube. Alabasterrelief aus Kuyundschik.

Außer beim Kult spielte Wein auch im Rahmen der altorientalischen Herrscherideologie eine wichtige Rolle. Wer Wein besitzt und großzügig davon austeilen kann, macht deutlich, daß er reich und mächtig ist. Daher sind Staatsbankette in jener Zeit vor allem eine Zurschaustellung von Reichtum und Macht.

Mit der kultischen und politischen Bedeutung ist die Rolle des Alkohols in den alten Kulturen aber selbstverständlich noch nicht erschöpft. Auch in der Medizin wurde er eingesetzt. Bier und Wein nutzte man vor allem in Mesopotamien und Ägypten als Basissubstanz für allerlei Tränke. In der Welt des Alten Testaments galt Alkohol als allgemeines Stärkungs- und Kräftigungsmittel für Körper und Geist. „Gebt berauschenden Trank dem, der zusammenbricht, und Wein denen, die im Herzen verbittert sind. Ein solcher möge trinken und seine Armut vergessen und nicht mehr an seine Mühsal denken.“ (Spr 31,6f)

Immer wieder betont die Bibel die positive Seite des Alkoholgenusses. „Trink vergnügt deinen Wein“ empfiehlt Kohelet (9,7) und Psalm 104 spricht vom „Wein der das Menschenherz erfreut“. Auch Jesus Sirach weiß: „Wie ein Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt. Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschaffen wurde?“ (Sir 31,27) Umgekehrt ist es eine ziemliche Katastrophe, wenn dem Volk der Alkohol ausgeht: „Auf den Gassen jammern die Leute: Es gibt keinen Wein mehr! Jede Freude ist verschwunden, aller Jubel hat die Erde verlassen.“ (Jes 25,11)

Trinkgefäß aus dem 5. Jh. v. Chr.

Im Alten Testament überwiegen allerdings die kritischen Töne. Recht humorig bringt dies abermals das Buch der Sprichwörter ins Bild, wenn es sechs Rätselfragen stellt: „Wer hat Ach? Wer hat Weh? Wer Gezänk? Wer Klage? Wer hat Wunden wegen nichts? Wer trübe Augen? Jene, die bis in die Nacht beim Wein sitzen, die kommen, um den Mischwein zu probieren.“ (Spr 23,29f) Drastischer ist dagegen das Prophetenwort, das Israel die Verbannung ankündigt: „Weh euch, die ihr schon früh am Morgen hinter dem Bier her seid und sitzen bleibt bis spät in die Nacht, wenn euch der Wein erhitzt. Bei ihren Gelagen spielt man Zither und Harfe, Pauken und Flöten; aber was der Herr tut, beachten sie nicht, was seine Hände vollbringen, sehen sie nicht.“ (Jes 5,11f).

Dr. Erasmus Gaß bereitet derzeit eine Studie zum Themenkreis „Alkohol und Theologie“ vor. Rechtzeitig zur Faschingszeit präsentiert er vorab in der Reihe „Montagsforum Erlenbach“ des Aschaffenburger Martinushauses die teils kuriosen, teils von tiefer Weisheit geprägten Zeugnisse aus dem Alten Orient. Sein Vortrag findet statt am Montag, 28. Januar um 20 Uhr in der Aula der Barbarossa-Schule in Erlenbach am Main. Auch eine kleine Kostprobe mesopotamischen Bieres ist geplant.

 

 

erschien in: Würzburger katholisches Sonntagsblatt 149 (2002) Nr.3, S.##
Manuskript © Michael Pfeifer
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