Duftlos?

Ist Weihrauch noch ein liturgisches Symbol?

Nach einer 1992 in der Diözese Würzburg durchgeführten Umfrage wird Weihrauch heute fast ausschließlich zur Hebung der Feierlichkeit eines Gottesdienstes verwendet; seine symbolischen Dimensionen kommen kaum noch zur Geltung.

In nahezu allen Gemeinden wird in den Hauptgottesdiensten der großen Feste des Kirchenjahres, an Ostern, Weihnachten und Pfingsten, an Epiphanie und Fronleichnam inzensiert. Aber nur 22% der Gemeinden verwenden öfter als 17mal im Jahr Weihrauch zur Messe.

Nach der Begründung für die Weihrauchverwendung gefragt, antwortet demnach auch die Hälfte der Befragten mit „Festlichkeit“, nur für 17% ist die symbolische Bedeutung wichtig. 11% verweisen auf die Tradition, und 10% halten den Weihrauch wegen seiner sinnenhaften Erfahrbarkeit für wichtig. Wie schwer man sich mit der Symbolbedeutung vielerorts tut, zeigt sich beispielsweise darin, daß in der Messe und im Stundengebet die Inzens von Priester und Volk häufig unterbleibt. Daß oft Vorsteher und Gemeinde von verschiedenen Dienstträgern (Diakon/Ministranten) inzensiert werden, tut ein übriges. In mindestens einem Viertel der Gemeinden wird im Räucherritus entsprechend den Rubriken des alten Ritus servandus zwischen Klerikern und Laien ein Unterschied gemacht.

Außerhalb der Messe sieht das Bild etwas anders aus. Bei Begräbnisfeiern findet Weihrauch in den meisten Gemeinden Verwendung. Vermutlich half das nur noch in diesem Ordo enthaltene Deutewort zur Inzensierung, den Ritus verständlich zu erhalten. Findet gemeindliches Stundengebet statt, so wird in einer überraschend großen Zahl von Gemeinden auch mehr oder weniger regelmäßig Weihrauch dazu verwendet (67%). Sicherlich spüren die Beteiligten, daß der mehr monastischen Liturgia horarum die Anreicherung mit Symbolhandlungen für den gemeindlichen Vollzug gut ansteht. Während der Weihrauch bei Wortgottesdiensten nirgendwo anzutreffen ist, scheint er bei eucharistischen Andachten obligatorisch. Dadurch soll auch nicht in erster Linie die Feierlichkeit gehoben, sondern Verehrung ausgedrückt werden.

Andere Deutungsdimensionen des Räucherharzes scheinen weitgehend verlorengegangen zu sein. So wird Inzensieren auch im Rahmen von Segnungen kaum noch als Reinigungsritus verstanden. Die biblische Deutung auf „Gebet“ – bis zur Liturgiereform bei nahezu jeder Räucherung durch Ps 141,2 ins Gedächtnis gerufen – ist ebenfalls weitgehend vergessen. So fällt es schwer, die Erlaubnis aus AEM 235 zum Gebrauch des Weihrauchs in allen Gottesdiensten mit Leben zu erfüllen; das Duftelement nimmt in unseren wortorientierten Gottesdiensten mehr und mehr ab.

Offensichtlich gehört der Weihrauch nicht zu den „Ursymbolen“, die sich von selbst erklären. Zu seinem Verständnis kann neben gelegentlichen kurzen Monitionen vor allem ein sinngerechter Vollzug der Riten beitragen. Dazu gehört auch, daß der Weihrauch nicht zu schmückendem Gepränge festlicher Gottesdienste degradiert wird. Aber selbst wenn ein umfassendes Verständnis nicht erreicht werden kann, ist ein Verzicht auf (guten) Weihrauch im liturgischen Raum heute weniger denn je angezeigt. Duft schafft Atmosphäre, das wissen Menschen von heute sehr zu schätzen. Die vielerorts angebotenen Duftlämpchen geben Zeugnis davon. Sollen wir es hinnehmen, daß es in den Wohnungen der Menschen, ja sogar in Warenhäusern und Betrieben besser riecht als im Haus des Herrn?


publiziert in:
Gottesdienst 27 (1993) S. 56