O heilge Seelenspeise

Liedporträt

O Speise der Wanderer

Ist diese Speise nun heilig zu nennen oder wunderbar, oder allerhöchst? Das Incipit dieses Liedes hatte bereits mehrere Formen. Und auch sonst eignet ihm eine wechselvolle Überlieferungsgeschichte. Gleichwohl ist es seit seinem Entstehen in der Mitte des 17. Jahrhunderts bis heute in zahlreichen katholischen Gesangbüchern zu finden. Dabei entstammen die vier Strophen des heutigen Liedes sämtlich je eigenen Zusammenhängen oder Bearbeitungen.

Am Beginn steht eine anonyme Dichtung aus dem *Keuschen meerfrewlein, das als Gesangbuch der marianischen Sodalität 1649 in Würzburg erschien (rechte Spalte). Jene geht zurück auf eine lateinische Vorlage ebenfalls unbekannter Herkunft, die 1647 in einem *Gebetbuch derselben Sodalität erschien (linke Spalte, in der Mitte eine Arbeitsübersetzung).

O Esca Viatorum,
O Panis Angelorum,
O Manna Coelitum;
Esurientes ciba,
Dulcedine non priva
Cor te quaerentium.

O Speise der Wanderer,
o Brot der Engel,
o himmlisches Manna;
die Hungernden nähre,
der Süßigkeit nicht beraube
das Herz der dich Suchenden.

O Allerhöchste Speise/
Auff dieser Pilgerreise/
Wahrhafftes Himmelbrodt;
Thu vns den Hunger stillen/
Mit deiner Gnad erfüllen/
Vns retten von dem Todt.

O Lympha, Fons Amoris,
Qui puro Salvatoris
E Corde profluis;
Te sitientes pota:
Haec sola nostra vota;
His vna sufficis.

O Nass, Quelle der Liebe,
die aus des Erlösers
reinem Herzen fließt;
tränke die nach dir Dürstenden:
Dies allein unsere Bitten;
als Einzige erfüllst du sie.

O süsser Tranck deß Lebens/
Den du nicht hast vergebens
Vns armen zubereit:
Lesch uns den Durst der Sünden;
Geb/ daß wir recht empfinden
Dein Krafft/ vnd Süssigkeit.

O Jesu, tuum vultum,
Quem colimus occultum
Sub Panis specie;
Remoto tandem velo,
Serena fac in Coelo
Cernamus acie.

O Jesus, dein Antlitz,
das wir, verborgen unter der
Brotgestalt, verehren;
mach, dass wir es, wenn der
Schleier fällt, im Himmel mit
klarem Blick sehen.

Mit Glauben/ vnd Vertrawen/
Wir dich verdeckt anschawen
In dieser Sterblichkeit.
Drumb laß einmahl geschehen/
Daß wir im Himmel sehen
Dein klare Herrlichkeit.

Ursprüngliche Struktur

Wiewohl das Deutsche eine recht freie Übertragung der lateinischen Vorlage darstellt, ist es seinem Reimschema und seiner Struktur nach mit jener identisch. Das Lied, das unter dem Titel „Himmelbrodt. Das Hochwürdig Sacrament deß Altars“ stand, spricht in zwei Strophen von Hunger und Speise (1) sowie von Durst und Trank (2). Die dritte Strophe spricht vom Altarssakrament, wie wir es verdeckt anschauen in dieser Sterblichkeit, und erweitert dann die Perspektive von der Schau des Sakraments auf die endzeitliche selige Schau im Himmel.

Diese klare Form behielt das Lied etwa 150 Jahre. Im Bistum Mainz wurde es sogar etwa 300 Jahre lang dreistrophig tradiert. Vermutlich gelangte das Würzburger Lied auf Betreiben des Bischofs Johann Philipp von Schönborn, der seit 1647 gleichzeitig auch Erzbischof von Mainz war, in das dortige Gesangbuch.

Erweiterungen, Kürzungen, Umgestaltungen

Doch Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Lied vielerorts – nun meist mit dem neuen Incipit O heilge Seelenspeise – um weitere Strophen erweitert. Die heutige zweite Strophe entstammt dabei einem vierstrophigen Lied aus der Feder des Priesters und Lehrers Hermann Ludwig Nadermann, der 1810 ein *Liederbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch des Münsterischen Gymnasiums herausgab. Während sich die erste Strophe dieses Liedes noch als Umarbeitung des Originals betrachten lässt, sind die Folgestrophen – so auch die zweite: Du hast für uns dein Leben – Neuschöpfungen. Die heutige dritte Strophe wiederum entstammt dem alten Sakramentslied O Mensch, erkenn die Triebe (*Paderborn 1770), das von Melchior Ludolf Herold für sein in *Köln 1807 erschienenes Gesangbuch bearbeitet worden war. In anderen Gesangbüchern des 19. Jahrhunderts sind weitere Textveränderungen und -erweiterungen dieses Liedes zu beobachten.

Auch *GL 1 vermochte nicht ohne solche auszukommen. War in den *Einheitsliedern von 1947 noch eine fünfstrophige Textgestalt publiziert worden – zwischen die von Hunger/Speise und Durst/Trank handelnden Strophen waren Du hast für uns dein Leben (Nadermann) sowie Kommt alle, die auf Erden (Herold) eingeschoben worden – glaubte man nun auf die Strophe O süßer Bronn des Lebens wegen „unzureichender Aussagen über das Blut Christi“ (*Redaktionsbericht) verzichten zu sollen. Dass dadurch die Rede von der Eucharistie nur noch unter der Perspektive der Speise, nicht aber der des Trankes geschieht, verwundert umso mehr, als das II. Vaticanum die Kelchkommunion wieder reaktiviert hat. Noch bedauerlicher ist, dass sich auch *GL 2 trotz einer inzwischen etablierten Praxis der Kelchkommunion nicht hat dazu durchringen können, der Strophe wieder Raum zu geben. Selbst der Würzburger Eigenteil (858, Rubrik: Eucharistie), der ansonsten die bereits im Vorgängergesangbuch *Ave Maria enthaltene Melodie- und Textfassung der *Einheitslieder 1947 übernimmt, tilgt O süßer Bronn des Lebens. Einzig im Regensburger Eigenteil (819, Rubrik: Eucharistie) findet man das 1947er Einheitslied vollständig.

Auch in der letzten Strophe sah *GL 1 Verbesserungsbedarf und goss die alte Schlussstrophe in eine modernere Gestalt. War in der ursprünglichen Textfassung von 1649 noch ein Gegensatz zwischen menschlicher Sterblichkeit und göttlicher Herrlichkeit fassbar, so änderte Heinrich *Bone 1847 in dieser Sterblichkeit zu in deiner Niedrigkeit und fand damit viele Nachfolger bis zu den *Einheitsliedern. Die Redaktion des *GL 1 griff hier ein und erlag wohl dem Missverständnis, „die Gegenwart Christi unter den eucharistischen Gestalten sei eine Erniedrigung“ (Wunderhorn S. 247). Stattdessen bezieht sich Niedrigkeit auf die Entäußerung des Logos, von der der Philipperhymnus spricht (Phil 2,7f). Nichtsdestotrotz ist die Neufassung gelungen und geeignet, „die Aufmerksamkeit des Beters deutlicher auf die volle Christusbegegnung im jenseitigen Leben [zu] lenken“. Schließlich erfuhr auch das Incipit des Liedes eine Änderung in O wunderbare Speise, weil „die heilige Eucharistie für den ganzen Menschen, nicht allein für seine Seele […] die Arznei zur Unsterblichkeit“ sei. (Alle Zitate Redaktionsbericht). Was hier unterschwellig zum Ausdruck kommt, ist das typische Misstrauen der damaligen Theologie gegenüber dem Begriff „Seele“, den man in der griechischen Philosophie verortete und deshalb als unbiblisch empfand. In *GL 2 wird der Liedanfang mit Blick auf den Duktus des gesamten Liedes wieder auf O heilge Seelenspeise korrigiert. Die abschließende Strophe ist in der Fassung von *GL 1 belassen worden.

Getreue Überlieferung oder Spiegel der Glaubensgeschichte

Aus historischer Sicht mag man bedauern, dass ein Lied nicht in seiner Urform überdauert, sondern der Text als Freiwild für Anschläge auf ihn betrachtet wird. Andererseits eröffnet ein Durchgang durch die Überlieferungsgeschichte eines solchen Liedes dem geschichtsbewussten Betrachter einen Zugang zur Glaubensgeschichte der jeweiligen Generation und in deren Verlängerung auch auf die eigene. Immer wieder haben Menschen ihre Sicht auf das Geheimnis der Eucharistie in das ererbte Lied eingetragen, es damit auf der Höhe der Zeit und singbar gehalten. Welche Motive und Bilder begegnen uns im Einzelnen?

 

Hunger und Durst

In der ersten Strophe wenden sich die Singenden mit einer Anrufung dem Altarsakrament zu. Die Seelenspeise wird als Manna und Himmelsbrot apostrophiert und spielt damit auf die Nahrung an, die Gott den Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung gab (Ex 16; Ps 78,18–25). Die an dieses Wunder anknüpfende Frage der Jünger veranlasst Jesus im Johannesevangelium zu seiner „Brotrede“ (Joh 6,30–58), deren Gedanken die zweite Hälfte der Eingangsstrophe prägen. Das „Herr, gib uns immer dieses Brot“ der Jünger in Joh 6,34 findet seinen Ausdruck in der Bitte Wollst unsern Hunger stillen. Es ist der Hunger nach Gnaden und letztlich nach Rettung vor dem ewigen Tod. Das Himmelsbrot ist also gleichzeitig Stärkung während der irdischen Pilgerschaft wie auch Wegzehrung für die letzte Reise.

Auch die zweite Strophe ist von dem genannten Abschnitt des Johannesevangeliums geprägt. Jesus hat im Brot sein Fleisch für das Leben der Welt hingegeben (Joh 6,51) und spricht: mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank (Joh 6,55). Die Strophe schließt mit einer auffordernden Frage nach der angemessenen Antwort auf diese Selbsthingabe Jesu. Auf ein anderes Jesuswort greift die dritte Strophe zurück. In wörtlicher Rede zitiert sie Jesu Aufruf „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken“ (Mt 11,28). Die Erquickung besteht im Leben selbst, das er uns wieder gibt. Zeichen dafür ist sein Blut, das den neuen, ewigen Bund besiegelt, wie Jesus selbst beim Abendmahl sagt (1 Kor 11,25).

Die Durst-Strophe (hier in der Fassung der *Einheitslieder 1947) ist zwar in *GL 2 nicht abgedruckt, gehört aber zweifellos zum Grundbestand sowie zur vollständigen Aussage des Liedes:

 

O süßer Bronn des Lebens,

fließ nicht für uns vergebens,

du unsers Heilands Blut!

O lösch den Durst der Seelen,

so wird uns nichts mehr fehlen,

du unser allerhöchstes Gut!

 

Ein weiteres Komm-Wort aus dem Johannesevangelium klingt an: „Wer Durst hat, komme zu mir“ (Joh 7,37f ). Wer aus dem Bronn des Lebens, der er uns selbst sein will, seinen Trank schöpft, löscht den Durst der Seele auf immer (vgl. Joh 4,14), so dass nichts mehr fehlen wird. Was dieser Trank aus dem Lebensbrunnen ist? Unseres Heilands Blut.

Die letzte Strophe öffnet den Blick für das Eschaton und ist geprägt vom Gegensatzpaar aus Schauen und Glauben, von dem bereits Paulus spricht (2 Kor 5,7). Die Schau der eucharistischen Gestalten im Hier und Jetzt soll einst vollendet werden durch die Gottesschau von Angesicht zu Angesicht (vgl. 1 Kor 13,12).

 

Melodie

Ähnlich wie der Text hat auch die Melodie eine wechselvolle Geschichte, die hier nur angedeutet werden kann. (### ausführlicher zur Mel. vgl. GL 110, 510 ###) Im *Würzburger Gesangbuch der Sodalität war 1647 dem Lied eine Melodie in d-Moll nebst Bass unterlegt. Auch die barocke Melodie zu O Mensch erkenn die Triebe wurde beispielsweise in Mohrs *Cantate für O heilge Seelenspeise übernommen. Durchgesetzt hat sich letztlich die Weise von Innsbruck ich muss dich lassen, die Heinrich Isaac um 1500 komponierte. Im Zuge der geistlichen Kontrafakturen rhythmisch vereinfacht, wurde sie für *GL 1 wieder näher an die lebendigere Ursprungsfassung herangeführt, „nicht nur, weil es dem heutigen, vom Rhythmischen geprägten Stilempfinden mehr entspricht, sondern weil so der Text viel stärker zum Ausdruck kommt“ (Werkbuch). Im Würzburger Eigenteil greift das Lied auf die Fassung der *Einheitslieder zurück und hat entsprechend auch die einfachere Melodie.

Ein Kommuniongesang

Wie in den meisten Gesangbüchern der Vergangenheit ist das Lied auch in *GL 2 unter den Gesängen zur Kommunion eingeordnet. Bleibt zu wünschen, dass es auch wirklich während der Kommunionganges gesungen werde, auf dass die Prozession durch das Singen auch zu einem Gemeinschaftserlebnis (communio) werde.

Literatur

Hansjakob Becker, Geistliches Wunderhorn….

Alex Stock, „Und die alten Lieder singen“. Umgangsweisen mit der Liedtradition bei der Entstehung des Einheitsgesangbuchs „Gotteslob“, in: Liturgisches Jahrbuch 45 (1995), 18-31.

Werkbuch zum GL

Redaktionsbericht


publiziert in:
Die Lieder des Gotteslob. Geschichte–Liturgie–Kultur, Stuttgart 2017