Die Glocken läuten. Menschen kommen zur Kirche, treten durchs Portal, bekreuzigen sich mit Weihwasser. Vielleicht entzünden sie ein Licht vor einem Andachtsbild, bevor sie Platz nehmen. Der weite Raum umfängt sie. Die Stille sammelt. Die Sakristeiglocke ertönt. Alle erheben sich. Der Organist präludiert. Die Einzugsprozession setzt sich in Bewegung. Ministrantinnen tragen Weihrauch, Kreuz und Leuchter. Der Diakon erhebt das Evangeliar. Der Herr tritt in die versammelte Gemeinde. Der Altar wird verehrt und alle singen das Eröffnungslied.
So gestimmt erwartet die Gemeinde den Fortgang der Liturgie mit Kreuzzeichen und Gruß. Wenn dann die „knappe Einführung in die Feier“ diese dichte Atmosphäre nicht unterbricht und vielmehr zu einem Kyrie hinführt, das den Herrn inmitten seiner Gemeinde begrüßt, ist eine gelungene Eröffnung mit dem Tagesgebet abgeschlossen.
Verschiedene Sprachebenen und vermutete Erwartungshaltungen allerdings sind es meist, die die Sammlung stören – und Sammlung ist hier durchaus doppeldeutig gemeint. Die geschilderten vorbereitenden Riten werden entwertet, wenn der Vorsteher nach dem Introitus das Wort ergreift und nicht wie vorgesehen mit „Im Namen des Vaters …“ beginnt, sondern stattdessen vermeintlich Offenkundiges erklärt, indem er spricht: „Beginnen wir im Namen des Vaters …“ Hat da die Liturgie nicht längst begonnen? Haben wir nicht schon gemeinsam gesungen? Gehört der Einzug nicht zur Liturgie? Ja, mehr noch: Mit der Rubrik „Die Gemeinde versammelt sich“ beginnt nicht ohne Grund die Feier der Gemeindemesse im Messbuch.
Es mag ja lebensnah und sympathisch erscheinen, wenn ein Vorsteher nach dem Introitus der Gemeinde zunächst „Guten Morgen!“ wünscht, mit eigenen Worten in die Feier einführt (oft nicht in der vom Messbuch gewünschten Knappheit) und diese Einführung schließt mit dem zitierten „Beginnen wir im Namen des Vaters …“ sowie dem liturgischen Gruß, auf den dann häufig eine weitere frei formulierte Überleitung zum Bußakt folgt. Ein solcher Beginn besitzt sicher auch Sammlungscharakter. Allerdings ist er nur dann zu vertreten, wenn zuvor nichts stattfand: Kein Eröffnungsgesang, kein Einzug, keine gesammelte Stille. Dann ist das Wort des Vorstehers eine Überleitung vom Profanum hin zur Welt der Transzendenz. Die Liturgie selbst verlegt diese Schwelle jedoch viel weiter nach vorne, an den Zeitpunkt, zu dem sich die Gemeinde versammelt.
Vielleicht liegen die Gründe für diese weit verbreitete Praxis in unterschiedlichen Wahrnehmungen der liturgischen Rollenträger. Für den Vorsteher ist das erste Wort, das er an die Gemeinde richtet, der gefühlte Beginn der Feier. Eine Einstimmung oder Vorbereitung wie sie die übrigen Teilnehmer genießen, ist in hektischen Sakristeien und dem nicht selten nötigen kurzfristigen Ortswechsel zwischen Gottesdienstorten immer seltener möglich. Viele der übrigen Teilnehmer erleben den Beginn allerdings anders. Ihre Vorbereitung auf den Gottesdienst ist es wert, als „Beginn“ der Liturgie akzeptiert zu werden.
publiziert in:
Gottesdienst 46 (2012) S. 38