Kosmische Raumbildung

Die Dettinger Passion im Lichte Grünewalds*

Das Bild „zeigt die Kreuzigung. Das Thema Leid und Schmerz rauscht schauerlich auf. Der Todeskampf ist vorüber. Der Körper starrt in grüngelben Leichentönen. Die Finger sind schrecklich ausgerenkt, die verkrampften Füße eine verquollene Masse … Ein Schreckensherrgott. Mehr! Alle Grausamkeiten die teuflische Gehirne ausheckten, vereinigen sich an diesem Kreuz, alle Schreie der Gemarterten klingen aus dem tintigen Hintergrund, das metaphysische Geheimnis der Weltsünde umwittert dieses Holz. Zu Füßen kniet, wie eine Stichflamme aus dem Boden schießend, Maria Magdalena, deren gerungene Hände seltsam zu ihrem Rosenkleid und zu ihrem fallenden Blondhaar kontrastieren.“[1]

Was ebensogut eine Beschreibung des Golgota-Bildes der „Dettinger Passion“ sein könnte, ist in Wirklichkeit über das Kreuzigungsbild des Isenheimer Altars gesagt. Daß es sich dabei nicht um eine zufällige Übereinstimmung handelt, wird deutlich, wenn man die Umstände der Entstehung der Dettinger Passion und vor allem die Bilder selbst eingehender betrachtet.

Biographie Ewald

Reinhold Ewald,[2] der Schöpfer der Dettinger Passion, wurde am 30. März 1890 als Sohn eines Buchhalters in Hanau geboren. Als 15-jähriger begann er eine Lehre als Dekorationsmaler und setzte ein Jahr später seine Ausbildung an der königlichen Zeichenakademie in Hanau fort. Talentiert wie er war, erhielt er ein Stipendium für das Studium an der Berliner Kunstgewerbeschule. Dort kam er in Kontakt mit den neuesten künstlerischen Richtungen, den französischen Impressionisten, Cézanne, Matisse und van Gogh. Auch Braque und Picasso wurden seinerzeit in der Berliner Sezession gezeigt. Entscheidend für Ewalds weitere künstlerische Entwicklung war eine Italienreise, die er 1913 unternahm, und von der er tief beeindruckt von den Fresken Giottos in der Scrovegnikapelle zu Padua und Piero della Francescas in San Francesco zu Arezzo zurückkehrte.

Seine eigenen Werke konnte Ewald erstmals 1914 im angesehenen Frankfurter Kunstsalon Schames präsentieren. Diese Ausstellung und die positive Kritik des einflußreichen Kunsthistorikers Alfred Wolters[3] verschafften ihm weithin Beachtung. Ewalds künstlerische Karriere wurde jedoch zunächst vom Krieg unterbrochen, den er als Landsturmrekrut, später dann als Kriegsmaler an der Westfront erlebte.

1919 wird Reinhold Ewald Mitglied der Darmstädter Sezession und stellt dort im Folgejahr im Rahmen der vielbeachteten Schau „Deutscher Expressionismus“ aus. In einer Ausstellungsrezension schreibt Anton Schnack, Ewald sei auf dem Weg, der raffinierteste deutsche Maler zu werden.[4]

Biographie Dümler

Zu dieser Zeit muß der Auftraggeber der „Dettinger Passion“, der Pfarrer Hugo Dümler auf Ewald aufmerksam geworden sein.[5] Dümler war an der Würzburger Universität von den Gedanken Herman Schells beeinflußt worden, der neben dem Lehrstuhl für Apologetik auch die Fächer christliche Kunstgeschichte und Archäologie vertrat. Häufig war der junge Theologe zu Kunstausstellungen unterwegs und man muß annehmen, daß er die Schau in Darmstadt, evtl. sogar die Präsentation des Isenheimer Altars in der Münchener Alten Pinakothek im Winter 1918/19 besucht hat. Der katholische Priester gewinnt den protestantischen Expressionisten für die Ausmalung der neuen Kirche, die soeben von den Protagonisten modernen liturgischen Bauens, den Offenbacher Architekten Dominikus Böhm und Martin Weber errichtet wird, und das, obwohl Ewald noch mit keinem religiösen Werk an die Öffentlichkeit getreten war. Doch schon der erste Entwurf des Altarbildes begeistert den Pfarrer, der zeitlebens in seinem Arbeitszimmer die Stuppacher Madonna des Matthias Grünewald vor Augen hatte.

Ewald und die Alten Meister

Auch Ewald selbst setzt sich immer wieder, oft auch in theoretischen Schriften, mit den Alten Meistern auseinander. Tintoretto, van Eyck, Tizian, Grünewald, Correggio, Watteau, van Gogh, Vermeer, Manet, Velasquez notiert er einmal als inspirierende Vorbilder.[6] Vom dezidierten Bezug auf Grünewald zeugen nicht zuletzt handschriftlich niedergelegte Gedanken anläßlich einer Ausstellung seiner Werke aus den 20er Jahren.[7] Auch reiste Ewald mehrmals nach Colmar ins Unterlinden-Museum.[8] Vor allem die Frage der Raumwirkung beschäftigte ihn im Blick auf die Tradition, das „Hell-Dunkel“, das „Vor und Zurück“. Dabei spricht Ewald von Transsubstantiation, die den alten Mystikern wohlbekannt war. In seinen Bildern verwandelt er die Stoffe: „Dieses Kleid“, sagt er, „ist Schnee, dieser Schnee ist Seide, dies Kleid ist roter Wein.“[9]

Mit der Wiederentdeckung der Alten Meister und ihrer Neuinterpretation in der künstlerischen Sprache der Zeit steht Reinhold Ewald selbstverständlich nicht alleine da. Namentlich der Bezug auf Grünewald ist bei den Expressionisten offenkundig.[10] Aber nur in Ewald bekam der deutsche Expressionismus ein einziges Mal die Chance, einen Kirchenraum zu gestalten.

Altarbilder Dettingen (Reinhold Ewald 1923)

Der Altarschrein

Triptychon

Grünewalds Isenheimer Altar ist ein Wandelaltar mit mehreren Schauseiten. Die erste Sicht zeigt die Kreuzigung, flankiert von den Standflügeln des Pestheiligen Sebastian und dem Mönchsvater Antonius, dem Schutzheiligen der Antoniter, für deren Spitalskirche Grünewald den Altar schuf. Klappt man die Flügel auf, erscheint die zweite Sicht, die von links nach rechts die Verkündigung, das Engelskonzert, die Muttergottes mit dem Kind und die Auferstehung zeigt. In einer letzten Sicht gibt Grünewalds Altargemälde den Blick frei auf den Schrein mit den Figuren von Nikolaus Hagenauer: der hl. Antonius thront zwischen den Statuen der Kirchenväter Augustinus und Hieronymus, in der Predella erscheinen um den segnenden Christus die zwölf Apostel. Den geschnitzten Schrein flankieren die Altarblätter Grünewalds mit zwei Szenen aus dem Leben des hl. Antonius: sein Gespräch mit dem Eremiten Paulus und seine Versuchung.

Reinhold Ewald tritt in Dettingen nicht an, einen Flügelaltar nach alter Tradition zu schaffen, wenngleich die formale Disposition des Triptychons dem Expressionismus durchaus geläufig ist.[11] Und doch ergibt sich die Anmutung eines von einem Triptychon umfangenen Schreinaltars. Das zentrale Bild ist die Golgota-Szene an der Stirnwand der Kirche. Flankiert wird es von den Bildern des Marienlebens, der Verkündigung und der Geburt an den Chorschrägen und – noch weiter außen – der Heimsuchung und der Flucht nach Ägypten. Während bei einem Polyptichon die Bilder regulär in einer Flucht stehen, springt das zentrale Bild in der Ewaldschen Komposition raumbedingt zurück. Es entsteht gewissermaßen ein Schrein im Zentrum. Dieser zeigt nicht wie bei Grünewald die Heiligen, sondern er zeigt das Heilige selbst: In diesem Schrein, der der Chorraum ist, vollzieht sich die heilige Handlung: das Meßopfer.

Noch eine zweite Deutung des mittleren Raumes drängt sich auf. In Isenheim umgeben Verkündigung und Geburt die wohl geheimnisvollste Tafel des gesamten Altars, das sogenannte Engelskonzert. Was aber ist dieses englische Orchester aus Lichtgestalten anderes als eine Vergegenwärtigung himmlischer Liturgie, die das zentrale Geheimnis der christlichen Religion feiert: die Menschwerdung Gottes. Übertragen wir diese Anordnung auf Dettingen, so ist zwischen den Bildern von Verkündigung und Geburt der Ort, an dem himmlische Liturgie gefeiert wird. Hier am Altar „stimmen wir ein in den Lobgesang der Engel und Heiligen, die ohne Ende das Dreimalheilig rufen.“[12]

Methode

Mit diesen beiden Beobachtungen[13] ist schon der methodische Weg dieser Bildinterpretation vorgezeichnet. Es geht nicht um einen kunsthistorischen Vergleich zweier Werke, sondern um ihre Annäherung in der Theologie. Dieser Erkenntnisweg sucht sich der Kunst über die Allegorese zu nähern, die wesentlich mit Metaphern, Symbolen und Bezugssystemen arbeitet, die nicht auf den ersten Blick zu entschlüsseln sind. Dies gilt für moderne (gar abstrakte) Kunst ebenso wie für mittelalterliche Bildwerke, deren Aussage wir als im christlich-abendländischen Kulturzusammenhang Geschulte nur scheinbar unmittelbar zu erfassen meinen.

Kreuzigungsretabel und Apostelpredella

Der formale Zusammenhang zwischen Grünewalds Wandelaltar und der Anlage in Dettingen läßt sich noch um eine Beobachtung erweitern. Versteht man das Golgota-Bild Ewalds als überdimensionales Altarblatt, nimmt das eigentliche Altarretabel mit den Aposteln die Stelle der Predella ein. In der ursprünglichen Anordnung der in Terrakottareliefs von Paul Seiler (1873–1934) flankierten je sechs der Apostel eine Darstellung der hl. Dreifaltigkeit, die sich auf den beiden heute verlorenen Mittelflügeln befand. Damit entspricht die Dettinger „Predella“ der in Isenheim, wo Brustbilder der Apostel den segnenden Christus umgeben. Diese Anordnung ist natürlich kein Einzelfall, werden doch die Apostel, die auch im Meßkanon namentlich Erwähnung finden, als die heilige Feier Umstehende geglaubt.[14] Damit sind sie einerseits Zeugen des Geschehens, andererseits auch dessen Legitimation. Denn Eucharistie kann nur in einer Kirche gefeiert werden, die auf dem Fundament und der Lehre der Apostel steht. Sowohl in Dettingen wie auch in Isenheim wurde dieser Teil des Altares von anderer Hand geschaffen – in Isenheim auch nicht gleichzeitig mit der Kreuzigung, sondern nur an hohen Feiertagen gezeigt – und möglicherweise von den Malern nicht weiter in ihre Konzeption einbezogen. Gleichwohl ist es eine bemerkenswerte Parallele.

Vorhang

Wenn auch der Gedanke an einen Flügelaltar in Dettingen nahe liegt, ist auch ein anderes Deutungsmuster möglich. Dominikus Böhm hat in Abkehr von der Tradition den Altarraum mittels einer neuen Form vom Gemeinderaum abgetrennt. Der trapezförmige, ursprünglich vergoldete Chorbogen entsteht durch treppenartiges Aufmauern der Schildwände, die sich vorhangartig vor den Altarraum schieben. Ewald unterstreicht diese Wirkung noch dadurch, daß er durch Zitation der Architektur – links die Aufmauerung des Chorbogens, rechts die Deckengestaltung des Altarraums – die Architektur gewissermaßen enden läßt und die beiden Gemälde wie für sich und ohne materiellen Hintergrund im Raum zu hängen scheinen. Es entsteht der Eindruck des Tempelvorhangs, der das Allerheiligste verdeckt, der aber zur Todesstunde Jesu nach dem Bericht der synoptischen Evangelien „von oben bis unten entzwei“ riß (Mk 15,38parr). Nun gibt er den Blick frei auf das Allerheiligste des Neuen Bundes, den Christus am Kreuz. Sein Leib ist der Tempel, der niedergerissen wird, den er aber in drei Tagen wieder aufrichtet (Joh 2,19).

Auch die Verschränkung der Bildthematiken – Leben Jesu und Marienleben – hat ihre Entsprechung im Isenheimer Altar. In Dettingen zieht sich der monumentale Kreuzweg-Zyklus von links vorne nach rechts vorne (entgegen der Leserichtung!) um die Kirche. Seinen Zielpunkt findet diese Bewegung im Golgota-Bild des Altars. Quer zur Passions-Thematik stehen die Bilder von Advent und Weihnachten. Sowohl auf Grünewalds Altar als auch in Dettingen entsteht somit eine eigenwillige Zusammenschau des Heilsgeschehens.

Altarbild Dettingen (Reinhold Ewald 1923), Apostelretabel (Paul Seiler 1923)

Die Kreuzigung

Nach der Gesamtkonzeption sollen nun die beiden Bilder Ewalds in den Blick kommen, die eine direkte Bezugnahme auf Grünewalds Isenheimer Altar verraten: das Golgota-Bild und die Verkündigung[15]. Zunächst zum Altarbild (Abb. 1 u. 2).

Figureninventar

Sowohl in Isenheim wie in Dettingen ist der Gekreuzigte, dem Bildthema entsprechend, die Zentralfigur. Grünewald zeigt vier weitere Assistenzfiguren: Maria, die Mutter Jesu, Johannes, der Lieblingsjünger und Maria Magdalena, dazu – und dies mag überraschen – Johannes den Täufer.[16] Ewald wählt demgegenüber ganz bewußt das klassische Figureninventar und ergänzt das Bild um die beiden Schächer, deren Kreuze die Bildränder markieren.

Kosmische Raumbildung

Reinhold Ewalds großes Thema ist der Raum. Sein erklärtes Ziel war es, in der Kirche, die ihm bei seinem ersten Besuch in Dettingen Ende Februar 1923 „zu eng und maßlich zu festgelegt“ vorkam, „durch eine suggestiv wirkende, raumausweitende Malerei … eine kosmische Raumbildung entstehen zu lassen, die durch Ausweitung des Innenraumes durch räumlich wandvertiefende Malerei und durch gegenwirkende Zurückstrahlung der Malerei nach dem Innern des Kirchenraumes eine doppelte Federung der Länge und Breite des Kirchenraumes“[17] erzielt. Großartig gelungen ist Ewald dies in den expressiven Bildern der Dettinger Passion, in denen er sich bewußt und willentlich über alle von den Architekten „gewünschte illustrationsmäßige Erzählungsmalerei“[18] hinwegsetzt und anders als in den eher flächig wirkenden späteren Stationsbildern tief in den Raum ausgreift.

Am Golgota-Bild wird dies besonders deutlich. Das Kreuz Christi steht schräg zum Betrachter. Erst in seiner Vorstellung entsteht die Kreuzesform. Der überlange linke Kreuzesbalken scheint weit in den Altarraum hereinzuragen.  Verschiedene Farbflächen schaffen Raumdimensionen. Von oben fällt ein rautenförmiger Lichtkegel herein, der die gesamte Figur Jesu umfaßt. Das himmlische Licht wirkt wie ein Ganzkörper-Nimbus. Und obwohl es von oben kommt, scheint es doch, als leuchte der Leichnam Christi selbst. Die Farbflächen um Maria, Johannes und Magdalena setzen das von oben einfallende Licht in anderer Färbung fort. Blau- und Violettöne sind es, die die Assistenzfiguren mit dem Kruzifixus zusammenfassen (Abb. 3). Diese Farbflächen sind zugleich die Räume, die die Personen um sich haben. Für Ewald war die Raumwirkung einer jeden Figur in die sechs Richtungen vorne, hinten, oben unten, rechts und links, zentral. Jede in zwei Dimensionen gemalte Figur beansprucht diesen Raum, der hier durch Farbe angedeutet ist. Darüber hinaus drücken diese Farbräume auch Emotionen aus: Bei Magdalena ist es ein waagrechter Farbwechsel, der sie gewissermaßen niedergedrückt vom Schmerz erscheinen läßt. Johannes hingegen hat einen auberginen Farbraum, der seine Blickrichtung nach oben unterstreicht. Am deutlichsten ist die Wirkung des Farbraums aber bei der Mutter Jesu. Sie sinkt nach links an den Stamm des Schächerkreuzes. Blau ist der Raum, den sie in der Aufrechten beanspruchen würde.[19] Der Raum der Figuren und der Lichtschein von oben stanzen aus dem Dunkel der Welt einen Kreis auf dem Boden aus, der durch den rotbraunen Erdton markiert ist. Dieser Ort ist am Karfreitag die Mitte der Welt.

Schächer

Ungewöhnlich ist die Anordnung der beiden zusammen mit Jesus gekreuzigten Schächer. Nicht „einen zur Rechten und einen zur Linken“ Jesu, wie bei den Synoptikern überliefert (Mk 15,27; Mt 27,38), sondern in freier Interpretation des Johannesevangeliums, das sich auf die Angabe beschränkt, Jesus sei „in der Mitte“ zwischen den beiden anderen gekreuzigt worden (Joh 19,18). Tatsächlich steht das Kreuz Jesu in der Mitte zwischen den beiden der Schächer. Doch steht das rechts von Jesus abgebildete Kreuz eigentlich vor ihm, der Deliquent ist ihm zugewandt. Gerade anders verfährt Ewald mit dem links von Jesus dargestellten Schächer. Sein Kreuz steht hinter dem Christi. Er blickt hinaus in die Finsternis. Die Tradition hat die beiden Schächer Diasmas und Gestas mit einem reichen Legendenkranz umgeben.[20] Auch die Ikonographie hat zu visualisieren versucht, was sich auf Golgota abspielte: die Lästerung des Gestas, das vertrauende Gebet des Dismas „Herr gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst“  und die Verheißung Jesu „Heute noch wirst Du mit mir im Paradies sein.“ Auch Ewald setzt dies ins Bild. Gestas hält die Hände wie geballt, er verharrt in der Gewalttat, die sein Leben bestimmt hat. Dismas hingegen hat die Hände offen und würde sie sicher – wären sie nicht gebunden – in der Geste der Anbetung aneinanderlegen.[21] So aber formt er über dem Querbalken des Kreuzes einen Kreis mit seinen Armen. Formal entsteht so das ägyptische Henkelkreuz, das wegen seines phonetischen Lautwertes in der Hieroglyphenschrift „ankh – Leben“ als Lebenssymbol Eingang auch in die christliche, vor allem die koptische Ikonographie gefunden hat. Das Kreuz des guten Schächers wird so zu einem Symbol, das die Verheißung „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ veranschaulicht.

Formalprinzip

Zu dieser figürlichen Unterscheidung der beiden Schächer kommt noch eine kompositorische hinzu. Der Kreuzesbaum des Gestas steht ganz im Schatten und wird nicht wie der seines Schicksalsgenossen vom Licht wenigstens gestreift. Ferner beschreiben die zentralen Figuren unter dem Kreuz zusammen mit dem Schächer Dismas ein Kreissegment, das, zum Kreis vervollständigt, den Gestas außen vor läßt. Auch durch diese formale Anlage wird deutlich, daß die willentliche Abkehr von Christus den Ausschluß vom Heil bedeutet.

Johannes

Besucher, die die neuerrichtete Dettinger Kirche aufsuchten, berichteten stets beeindruckt von den „Farbsymphonien“, insbesondere dem leuchtenden Rot des Gewandes des Johannes.[22] Heute ist davon nurmehr blasses Rosa übrig geblieben. Doch verraten die Aussagen der Zeitzeugen, die Anlehnung an den Farbenkanon, der auch die Kreuzigung des Isenheimer Altares kennzeichnet. Auch Grünewald kleidet den Jünger wie den Täufer Johannes in leuchtend rote Gewänder. Die Konturen des Gesichts in Dettingen sind weitgehend verloren, doch ist noch zu erkennen, daß der Blick nach oben gerichtet ist und sich seinem Meister zuwendet. Die Hände sind in eigenartiger Weise schmerzvoll verkrampft wie etwa auf Grünewalds Tauberbischofsheimer Altar.

Maria

Die Muttergottes ist zurückgesunken und hat die Augen vor dem Leid ihres Sohnes verschlossen. Auch sie hat ihre Hand krampfartig umfaßt. Anders als auf dem Isenheimer Altar, auf dem in allem Leid der Mutter auch die Anbetung des toten Sohnes aufscheint, visualisiert Ewald hier nur den betäubenden Schmerz. Dennoch ist die Bewegung Mariens, das Abknicken des Oberkörpers, eine deutliche Entsprechung zu Grünewald. Stütze und Halt erfährt Maria in Dettingen aber nicht vom Lieblingsjünger, dem Jesus zuvor nach dem Johannesevangelium noch die Fürsorge für seine Mutter aufgetragen hatte, sondern durch den Stamm des Schächerkreuzes. Auch ist die Muttergottes in traditionelles Rot-Blau gewandet. Die Menschheit (blau) wurde der Empfängnis Gottes (rot) gewürdigt. Das ungewöhnliche Weiß, in das Grünewald seine Maria kleidet, ist bis heute Ziel vieler Deutungsversuche und Spekulationen.

Magdalena

Deutlich sind auch die Parallelen zwischen der Magdalena aus Isenheim und der aus Dettingen. Beidemale ist sie im Bild links vom Kreuzesstamm Christi zusammengesunken. Das lange blonde Haar trägt sie offen als Zeichen der Trauer (und ihres ehemaligen Berufs). Die Hände sind ineinander gefaltet, bei Grünewald entsprechend der Blickrichtung weit nach oben, dem Gekreuzigten Herrn entgegen gereckt. Bei Ewald hingegen schlägt sie die Augen nieder.

Kruzifixus

Sowohl Ewald wie auch Grünewald zeigen den Gekreuzigten in der Spannfolter am Kreuz ausgestreckt. Der Tod ist bereits eingetreten, das Haupt auf die rechte Schulter gesunken. Beide Maler geben den Kruzifixi eine Leichenfarbe, blasses verfärbtes grüngelbes Inkarnat. Markant sind die von Nägeln durchschlagenen verkrampften Hände, von denen sich Ewald offenkundig inspirieren ließ.

Die Trostlosigkeit steigert er, indem der Gekreuzigte ohne jeden geistlichen Beistand stirbt. Das erste christliche Jahrtausend hatte sich gesträubt, das Kreuz als Zeichen der Schmach und des Leidens zu zeigen. Es war ein Zeichen des Sieges über den Tod und der Gekreuzigte sollte der vom Holz Herrschende sein. Um die Jahrtausendwende fiel dieses Tabu und ab dem 13. Jahrhundert treffen wir nur noch den leidenden bzw. toten Kruzifixus.[23] War auf den alten Bildern die Vorausschau auf die Auferstehung des Gottessohnes durch den Goldgrund, die Bedeutung für die Welt durch die Einordnung in weitausgreifende Landschaft, die Erlösung durch Engel ausgedrückt, die das Blut Jesu in goldenen Kelchen auffingen, zeigt Grünewald nichts als einen an Leib und Seele leidenden Menschen. Jesus ist keinen verklärten Tod gestorben. Er starb vielmehr elendig, qualvoll, allein.

Erlösungsgeschehen

Auch wenn Grünewald auf jede Art von Überhöhung verzichtet, bedeutet das nicht, daß er von einer theologischen Interpretation abgesehen hätte. Nur läßt er die überhöhenden Deutezeichen nicht am Kruzifixus selbst erscheinen. Vielmehr ordnet er sie dem Lamm zu, das zunächst als Attribut des Täufers erscheinen mag, stattdessen aber stellvertretend für Christus selbst Kreuzstab und Seitenwunde trägt. Das Kreuz ist hier bar jeder Leidenskraft bereits als Siegeszeichen des Auferstandenen verstanden, der das Lamm der Apokalypse ist. Sein Blut wird im Kelch aufgefangen. Es ist der heilige Gral, der Meßkelch aller Zeiten, aus dem die Kirche austeilt, die sich zugleich als Gefäß und Spenderin der Sakramente sieht. Im Blut des Lammes werden die Gewänder der Heiligen weiß gewaschen, ist in der Apokalypse zu lesen (Offb 7,14). Und in der Herz-Jesu-Präfation heißt es: „Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser, aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche“. Taufe und Eucharistie, die beiden Grundsakramente kirchlichen Lebens sind mit Wasser und Blut gemeint.

Der Hintergrund der Grünewaldtafel zeigt bei genauem Hinsehen eine Felslandschaft hinter einem Fluß, der gemeinhin als Jordan gedeutet wird. Somit sind die beiden Grundsakramente auf dem Altarblatt Grünewalds dem Betrachter zugleich mit ihrem Ursprung, dem gekreuzigten Erlöser, vor Augen gestellt.[24] Auch in Ewalds Altarbild sucht man nicht vergeblich nach einem vergleichbaren Detail: Vom Kreuz nimmt ein Bach seinen Ausgang.

Grünewald zeigt die rechte Seite Jesu durchstochen – beim Kruzifixus wie beim Lamm. Hier erreicht Ewald nicht ganz den theologischen Reflexionsstand seines mittelalterlichen Vorbilds. Vermeintlich anatomisch besser geschult, läßt er das Blut des Erlösers aus dessen linker Seite, der des Herzens also, fließen. Nicht nur, daß antike Hinrichtungspraxis den Lanzenstich rechts unterhalb des Brustkorbs ansetzte und von dort bis nach links oben ins Herz stieß, es liegt auch ein theologisches Mißverständnis vor. Ins Bild gesetzt ist im Mittelalter nicht anatomische Korrektheit, sondern theologische Aussage. Das Wasser des Lebens – so die Offenbarung (22,1) – geht vom Thron Gottes aus. Das Kreuz ist dieser Thron Gottes. Und der Prophet Ezechiel schaut in einer Vision, wie das Wasser aus der rechten Seite des Tempels hervorquillt. (Ez 47,1) Ein Text, der etwa seit dem 9. Jahrhundert[25] regelmäßig in der österlichen Zeit zur Austeilung des Weihwassers am Beginn der Sonntagsmesse gesungen wurde.

Der Kreuzesthron „inmitten des Tempels“ ist die Quelle des Lebens. Dies ist die Mitte der Welt, ein heiliger Platz. Wie zum Zeichen dafür ist der lichte Bereich um das Kreuz umfriedet mit einem Geländer, das auf der dem Betrachter zugewandten Seite dann zur Kommunionbank wird, an der die Früchte dieses Lebensbaumes ausgeteilt werden.

Leiter

Wohl unabhängig von Grünewald bringt Ewald demgegenüber noch eine weitere theologische Deutung ein: die Leiter.[26] Hier wie zum Anbringen der INRI-Tafel ans Kreuz gelehnt und dort vergessen, zählt sie traditionell als Utensil der Hinrichtung zu den sogenannten arma Christi. Ewald wiederholt die Leiter im gleichen Neigungswinkel jedoch auf dem Geburtsbild. Sie lehnt dort wie zufällig in der Schreinerwerkstatt des Josef in Nazaret, die gleichzeitig der Stall von Betlehem ist. Auf dieser Leiter steigen – wie einst im Traum des Jakob (Gen 28,12) – die Engel der heiligen Nacht nieder. Sie ist die Verbindung von Gott und Menschen, von Himmel und Erde. „Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels“ erkennt Jakob nach jener Nacht (Gen 28,17), ein Vers, der auch heute noch im Kirchweihritus gesungen wird. Wie Gott an Weihnachten vom Himmel herab kam und Mensch geworden ist, so hat er im Kreuz uns den Weg ins Paradies wieder geöffnet, das seit den Tagen Adams verschlossen war. Die Wiederholung der Leiter in den beiden nebeneinanderliegenden Bildern läßt kaum eine andere Deutung zu.

Bilder des Heils

Weder der mittelalterliche noch der expressionistische Künstler wollten Historienbilder malen. Eindimensional darstellender Blickwinkel ist ihnen fremd. Überraschend, daß Bilder, die 500 Jahre trennen und zwischen denen Brüche wie Reformation, Aufklärung und Säkularisation liegen, noch immer im gleichen Geist erfaßt werden können.

Das Geschehen auf Golgota hat keine bloß historische Dimension, sondern wird aktualisiert, gegenwärtig, real präsent. Damit ist das Bild keine Abbildung im Sinne einer Fotografie, die Gewesenes unbestechlich dokumentiert, sondern es ist ein Heilszeichen, ein Sakrament, das Vergangenheit und Gegenwart durch die beide durchdringende Ewigkeit umgreift und damit Historisches in Realpräsenz überführt.

Mariae Verkündigung (Reinhold Ewald 1923)
Mariae Verkündigung, Zustand 1923 (Reinhold Ewald)

Die Verkündigung

Sind es beim Kreuzigungsbild einzelne Elemente, die den Bezug Ewalds auf Grünewald erkennen lassen, ist es beim Verkündigungsbild an der linken Chorschräge vor allem die Gesamtkonzeption. Von den zahlreichen Details ist leider nurmehr wenig zu erkennen, weshalb bei der Betrachtung das Foto aus dem Entstehungsjahr 1923 zu Hilfe genommen werden muß (Abb. 4 u. 5).

Sanktuarium

Durch die Einfassung des Bildes suggeriert Ewald – wie bereits dargelegt – daß das Bild ohne Materialität im Raum ist, wie ein Vorhang das Allerheiligste gleichzeitig verhüllt und enthüllt. Es ist aber beileibe nicht das einzige Architekturzitat, aus Böhms Raumschale. Rechts oben im Bild findet sich ein viereckiger, fensterartiger Durchblick, der von zwei Säulen gegliedert wird. Die Kapitelle erinnern entfernt an die Pfeilerabschlüsse, die Böhm in Beton ausgeführt hat.[27] Das Fenster gibt den Blick frei auf drei Dreiecksbögen, wie sie Böhm beispielsweise in der Emporenanlage verwendet. Auch das offenliegende Gebälk des Kirchenschiffs ist zu erkennen. Der Lichtstrahl, der den Engel trifft scheint aus diesem Bereich zu kommen. Auch hat er die gleiche Farbe wie das Inkarnat des Engels, der damit als Lichtgestalt charakterisiert ist. Auch ist der ganze obere Bereich von einem Goldton hinterfangen, der die Zugehörigkeit zur himmlischen Sphäre verdeutlicht.

Die Zitation der vorgefundenen Architektur ist die eine Quelle, aus der sich Ewalds Verkündigungsbild speist, die andere ist die Vorlage auf Grünewalds Isenheimer Altartafel. Auch dort wird Architektur zitiert. Die Szene findet in einem kapellenartigen Raum statt. Im Chorabschluß sind drei spitzbogige Fenster zu erkennen, die den rückwärtigen Raumteil zum lichtdurchflutetsten machen.

Bei beiden Malern findet Verkündigung in einem diesseitigen Kirchenraum statt. Damit ist gesagt, daß Verkündigung des Wortes und seine Fleischwerdung im Hier und Heute der Kirche geschieht. Für Grünewald ließe sich die theologische Aussage noch weiter treiben. Seit den Kirchenvätern wird Maria als Sinnbild der lebendigen Kirche gedeutet. Im gebauten Kirchenraum, der sie umgibt, offenbart sich gewissermaßen das Innere ihrer Seele. In ihrer Seele besucht sie der Engel. Dort empfängt sie Gott selbst, der aus ihr Fleisch annehmen will. Mit der formalen Übernahme auch eine inhaltliche Aneignung dieses Verständnisses durch Ewald zu postulieren, geht vermutlich zu weit.

Tabernaculum – Fenster – Vorhänge

Ein weiteres Architekturdetail hingegen findet keine direkte Entsprechung bei Grünewald. Es ist das runde Tempelchen mit der Kugel auf der Spitze, das wie ein orientalisches Zelt anmutet. Sicher handelt es sich auch hierbei um mehr als ein dekoratives Accessoire. Nach Tradition der apokryphen Evangelien, die in der Ikonographie des Marienlebens eine große Rolle spielen, war Maria als Tempeljungfrau in Jerusalem mit dem Herstellen des Vorhangs im Allerheiligsten beschäftigt.[28] Auch wird sie als „Tempel Gottes“ oder – wie in der lauretanischen Litanei – als „goldenes Haus“ und „Bundeslade Gottes“ angesprochen. Vielleicht ist mit dem Tempelchen das Bundeszelt (lat. tabernaculum) gemeint, vielleicht der Bezug zur Heiligen Stadt, dem (neuen) Jerusalem, angedeutet, das in Maria seinen Anfang nimmt.

Das Fenster davor ist vermutlich perspektivisch umzudeuten. Es gehört nicht in das Tempelzelt, sondern ist vielmehr dem Raum zuzuordnen, in dem die Verkündigung geschieht. Anders als real ist hier aber nicht das Fenster durchsichtig, sondern die es umgebende Wand. Auf dem Fensterbrett steht eine Vase, aus der einige Pflanzenstengel hervorragen.

Davor hängt – und das ist bislang als Entsprechung zu Grünewald nicht beachtet worden – wie zum Fenster gehörig ein Vorhang, der mit Ringen an einer waagrechten Stange befestigt ist. In Isenheim zeigt Grünewald zwei Vorhänge, die geöffnet sind  und den Blick auf das Innere freigeben.[29] Ewald übernimmt den einen davon ins Bild und wertet – wie gesagt – die ganze Darstellung, das schräg vor dem Altar plazierte Gemälde, als den anderen, vor dem Altar geöffneten Vorhang.

Engel

Nun zum Zentrum des Bildes. Der Engel bricht von rechts oben, aus dem Bereich des Altares, in den Raum der Jungfrau ein. Sie sitzt vor einem Pult, auf dem ein großer Foliant aufgeschlagen ist. Ist der Erzengel Gabriel bei Grünewald ein furchterregender Bote Gottes mit strengen Zügen und machtvoll ausgestreckter Hand, charakterisiert ihn Ewald eher als introvertierten Jüngling in tänzerischer Pose. Die Darstellung erinnert an die alttestamentliche Lesung am Weihnachtstag, die Händel in seinem Oratorium „Der Messias“ in so anmutiger Weise vertont hat: „Wie lieblich ist der Boten Schritt, die uns verkünden den Frieden. Sie bringen frohe Botschaft vom Heil, das ewig ist.“ (Jes 52,7) Ganz spielerisch hält der Engel den Botenstab, den Grünewalds Gabriel noch wie ein Zepter umfaßt.[30] Bei Grünewald hält der Engel den Stab im Hintergrund; wichtig ist die Botschaft die er bringt. Anders bei Ewald, wo der Stab zum Tanzaccessoire geworden ist. Der Engel blickt verträumt an Maria vorbei und hält den Stab zwischen sich und die Jungfrau. Der linke Arm des Engels läuft aus in einer rechten Hand, die den Stab hält. Auch die Selbstberührung des Engels verstärkt den Eindruck des selbstvergessenen Spiels. Das Gewand ist ihm über die Schulter gerutscht, er scheint es nicht zu bemerken.[31] Er wirkt wie ein Liebhaber, der der jungen Frau die Schwangerschaft ankündigt.

Maria

Vor den Augen Mariens spielt sich Unverständliches ab. Haben die Marien Grünewalds und Ewalds etwa die gleiche Pose – bei beiden ist nicht klar, ob sie knien oder sitzen –, drücken ihre Züge doch emotional andere Bewegung aus. Ist es in Isenheim erschrockenes Zurückweichen vor der machtvollen Figur des Engels, den Kopf zurückgezogen, die Augen fast geschlossen, nur durch die Lider, einen Blick auf den göttlichen Boten wagend, so blickt in Dettingen aus dem Gesicht Mariens eher die Verständnislosigkeit über das Schauspiel, das der tanzende Engel ihr bietet. Auch hier hat sie die gefalteten Hände vor der Brust, aber nicht so wie zur Abwehr erhoben wie in Isenheim. Beidemale trägt Maria des Haar offen, was im Mittelalter nur intimsten Bereichen vorbehalten war und auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in der Öffentlichkeit eher die Ausnahme darstellte. Auch muß sie einst tiefrote Lippen gehabt haben. Maria begegnet bei der Verkündigung dem Ganz Anderen. Sie gibt alle innere Zurückhaltung auf und spricht ihr Fiat. Ein wahrhaft intimes Geschehen.

Wort Gottes

Zwischen dem Engel und Maria befindet sich in beiden Bildern das Wort Gottes. Nach einer bei Albertus Magnus belegten Version empfing Maria beim Lesen einer Weissagung des Propheten Jesaja,[32] die im aufgeschlagenen Buch bei Grünewald zu lesen ist: „(Ecce virgo concipiet et pariet filium et vocabitis nomen eius Emmanuhel …) Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel geben. Er wird Butter und Honig essen bis er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen.“ (Jes 7,14–15) Darauf wird der erste Vers wiederholt: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel geben.“ Bislang wurde in der Forschung nicht beachtet,[33] daß es sich hierbei um die Form eines liturgischen Gesanges handelt: Rahmenvers–Folgevers–Rahmenvers. Tatsächlich erscheint der zitierte Text als Kommuniongesang des 4. Adventssonntags.[34] Daraus wird deutlich, daß Grünewald die Szene nicht bloß durch die Prophetie des Jesaja interpretiert – was ja nahe liegt – er bezeichnet sie vielmehr darüber hinaus als geistliche Kommunion Mariens. Im Augenblick der Verkündigung empfängt sie den Leib des Herrn, den sie zur Welt bringen wird.

Anders als bei Ewald, der den Inhalt des Buches vor den Blicken der Betrachter verbirgt und es auf einem Lesepult plaziert, liegt das Buch bei Grünewald auf einem Kasten, einer Lade, das ein Hinweis auf die Apostrophierung Mariens als „Bundeslade“ sein will. Sie ist der Leib, in dem Gott gegenwärtig wird. Die Lade galt den Israeliten als Schemel Gottes, gewissermaßen als sein Thron. Folgerichtig plaziert Grünewald darauf die Bibel, das Wort, den Logos, der aus Maria Fleisch annimmt und wahrhaftig Gott ist.

Notenständer

Auch im Dettinger Verkündigungsbild ist ein interessantes Detail bislang unbeachtet geblieben. Es ist der ganz an den linken Bildrand gerückte Notenständer. Möglicherweise zitiert Ewald hier das Engelskonzert des Isenheimer Altars und gibt damit seine Inspirationsquelle zu erkennen. Für sich genommen, könnte das Notenpult eine Entsprechung zum tänzerisch bewegten Engel darstellen. Es könnte den Raum der Verkündigung in Musik einspannen, könnte deutlich machen, daß die Welt aus Klang, aus Schwingung, aus dem Wort Gottes entstand, das in diesem Bild ja die unsichtbare Hauptperson ist. Es könnte auch die Antwort Mariens vorwegnehmen: Das Gotteswort sucht sie heim. Noch ist ihre Antwort nicht gesprochen, der Notenständer ist leer. Doch nach diesem Erlebnis der Nähe Gottes wird sie ihr „Magnifikat“ singen, das die Grundmelodie ihres ganzen Lebens werden wird.

 

Renaissance der Renaissance?

Der Bezug auf Grünewald, den man beim Betrachten der beiden Bilder Ewalds in Dettingen unwillkürlich spürt,[35] kommt nicht von Ungefähr. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bahnte sich eine Wiederentdeckung des Meisters an, die in der wortmächtigen Beschreibung der Karlsruher Kreuzigung durch Joris-Karl Huysmans 1891 einen ersten Höhepunkt hatte[36] und in der Ausstellung des Isenheimer Altars in der Münchener Alten Pinakothek gipfelte.[37] Allein der bayerische Bibliothekskatalog verzeichnet 20 Monographien zu Grünewald aus den Jahren 1919–1923.

Es ist sicher nicht allein die Ausdrucksstärke seiner Bilder, die übergroßen Hände und überlängten Glieder, die ihn der Generation der Expressionisten zum großen Vorbild machte. Die Parallelen sind vielfältig und liegen im allgemeinen Zeitkontext ebenso wie in den persönlichen Biographien. Auf einige Entsprechungen sei abschließend hingewiesen.

Grünewald darf als Sympathisant der neuen Lehre Martin Luthers gelten.[38] Auch die Auftraggeber in Isenheim standen zumindest dem die Reformation vorbereitenden Humanistenkreis nahe.[39] Eine vielleicht vergleichbare Konstellation ergibt sich für Dettingen. Der Protestant Reinhold Ewald erhält den Auftrag, ein ur-katholisches Thema, Kreuzweg und Marienleben nämlich, in einer katholischen Dorfkirche zu gestalten. In einer Zeit, da konfessionelle Auseinandersetzungen selbstverständlich und ökumenische Bemühungen ein Fremdwort waren, eine außergewöhnliche Entscheidung. Der Auftraggeber, Pfarrer Hugo Dümler, war zudem durch die Schule Herman Schells gegangen und galt als kunstsinniger und moderne Strömungen aufmerksam beobachtender Mann.

Was Grünewald in den Wirren der Bauernkriege erlebt haben mag, war für Ewald vielleicht der Eindruck, den der Weltkrieg bei ihm hinterlassen hatte. Wenn auch seine Werke dieser Zeit wenig vom Grauen des Krieges zeigen, so ist es doch sicher nicht spurlos an ihm vorüber gegangen.

Schließlich ist noch eine theologische Entsprechung zu erwähnen. Grünewald entwickelt seine neue Weise der Kreuzigungsdarstellung zur gleichen Zeit, da Luther seine Theologia crucis entwirft. Was sehen wir – so fragte der damals noch unbekannte Augustinermönch und Professor in Wittenberg – wenn wir auf das Kreuz schauen: „Nichts anderes als Schmach, Not, Tod und alles, was am leidenden Christus gezeigt wird.“[40] Gerade dort würde niemand von sich aus Offenbarung des Göttlichen suchen.[41] Doch nach Luther ist nur im „Gekreuzigten die wahre Theologie und Gotteserkenntnis“.[42] Gerade ein solches Bild der verhüllten Offenbarung im Leiden stellt uns der Isenheimer Altar vor Augen.[43]

Eine dramatische Kreuzigungsszene wie in Dettingen dem Hochaltar der Kirche zuzuordnen ist – und das klingt zunächst überraschend – höchst ungewöhnlich. Natürlich gehört das Kreuz zum Altar, auf dem eben jenes einmalige Opfer Christi in jeder Messe neu gegenwärtig wird. Was aber einen entscheidenden Traditionsbruch darstellt, ist, daß ein brutales Folterwerkzeug und nicht ein Heilszeichen abgebildet wird. Dies war auch im Mittelalter, in dem Jahrhundert der Gotik, in der der leidende Christus als Erbauungsbild dargestellt wurde, nicht üblich. Diese Andachtsbilder hatten stets ihren Ort an der Seite, in einer Kapelle, der Memoria oder allenfalls noch vor dem Lettner, dessen Altar auch die Bezeichnung „Kreuzaltar“ trug. Nur in einer kurzen Zeitspanne zwischen 1920 und 1927 begegnen Golgota-Darstellungen wie die in Dettingen oder Isenheim über dem Hauptaltar einer Kirche.[44] Der gesamte Kirchenraum – von der liturgischen Bewegung gerne „Einheitsraum“ genannt[45] – wird nun dem gestaltgebenden Motto nur eines Raumkompartiments unterworfen.[46] „Meßopferkirche“ ist der Begriff, den auch Architekten wie Dominikus Böhm im Munde führen. Wie problematisch dies ist, sieht man in Dettingen: Anfänglich wurde in der Weihnachtszeit das Kreuzigungsbild von einem Sternenvorhang verhüllt.[47] Der deutliche Bezug, den Ewald durch die beiden Leitern darstellt, ist bei dieser Praxis gerade an Weihnachten leider nicht mehr ersichtlich.

 

Auferstehung

Heutige Betrachter überrascht immer wieder, daß in der Dettinger Kirche ein Auferstehungsbild fehlt. Dieses, so meinen sie, wäre doch nach den vierzehn Kreuzwegstationen sinnvoll das Altarbild geworden. Doch ist dies eine durchaus heutige Sichtweise, die weder für das Mittelalter, noch für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts typisch war. Zwar ist auf dem Isenheimer Altar die Auferstehung in ein unglaublich eindrucksvolles Bild gefaßt, doch hat das Osterbild bei weitem nicht die zentrale Stellung wie das Kreuzigungsbild.

Vielleicht tröstet die Lichtarchitektur Dominikus Böhms über dieses heute spürbares Defizit hinweg, vielleicht ist aber auch der Dettinger Passion die Auferstehung bereits unmerklich eingeschrieben.

Ewald und die Alten Meister

Auch Ewald selbst setzt sich immer wieder, oft auch in theoretischen Schriften, mit den Alten Meistern auseinander. Tintoretto, van Eyck, Tizian, Grünewald, Correggio, Watteau, van Gogh, Vermeer, Manet, Velasquez notiert er einmal als inspirierende Vorbilder.[1] Vom dezidierten Bezug auf Grünewald zeugen nicht zuletzt handschriftlich niedergelegte Gedanken anläßlich einer Ausstellung seiner Werke aus den 20er Jahren.[2] Auch reiste Ewald mehrmals nach Colmar ins Unterlinden-Museum.[3] Vor allem die Frage der Raumwirkung beschäftigte ihn im Blick auf die Tradition, das „Hell-Dunkel“, das „Vor und Zurück“. Dabei spricht Ewald von Transsubstantiation, die den alten Mystikern wohlbekannt war. In seinen Bildern verwandelt er die Stoffe: „Dieses Kleid“, sagt er, „ist Schnee, dieser Schnee ist Seide, dies Kleid ist roter Wein.“[4]

Mit der Wiederentdeckung der Alten Meister und ihrer Neuinterpretation in der künstlerischen Sprache der Zeit steht Reinhold Ewald selbstverständlich nicht alleine da. Namentlich der Bezug auf Grünewald ist bei den Expressionisten offenkundig.[5] Aber nur in Ewald bekam der deutsche Expressionismus ein einziges Mal die Chance, einen Kirchenraum zu gestalten.

Anmerkungen

*    Leicht veränderte Fassung eines Vortrags, gehalten am 14. Februar 2003 in der Dettinger Pfarrkirche im Rahmen der bayerischen Landesausstellung „Rätsel Grünewald“.

[1]     Karl Eder, Deutsche Geisteswende zwischen Mittelalter und Neuzeit, Salzburg/Leipzig 1937. Zit. nach Wilhelm Rügamer, der Isenheimer Altar Matthias Grünewalds im Lichte der Liturgie und der kirchlichen Reformbewegung, in: Theologische Quartalschrift (1939) 145–163, 371–382, 442–460, (1940) 86–102: 371f.

[2]     Die Angaben zur Biographie folgen im Wesentlichen Alois Kölbl, Kosmische Raumbildung. Reinhold Ewalds Freskenzyklus in Dettingen, in: Michael Pfeifer (Hg.), Sehnsucht des Raumes. St. Peter und Paul in Dettingen und die Anfänge des modernen Kirchenbaus in Deutschland, Regensburg 1998, 119–128: 119f.

[3]     Alfred Wolters, Ausstellungen, in: Kunstchronik und Kunstmarkt (2. Januar 1914) 226.

[4]     Anton Schnack, Deutscher Expressionismus. Darmstadt 1920, in: Deutsche Kunst und Dekoration 23 (1920) 206–221.

[5]     Zur Biographie Dümlers vgl. Michael Pfeifer, Hugo Dümler, Streiflichter eine Biographie, in: Sehnsucht des Raumes (s. Anm. 2) 41–46.

[6]     Dieter Hoffmann, Reinhold Ewald und die Alten Meister, in: Reinhold Ewald (1890–1974) [Ausstellungskatalog], Hanau 1990, 43–47: 45.

[7]  Eugenie Börner, Das religiöse Werk, in: Reinhold Ewald (s. Anm. 6), 27–41: 28f mit Anm. 7.

[8]     Auskunft von Eugenie Börner am 28. Dezember 2002.

[9]     Hoffmann (s. Anm. 6) 46.

[10]    Auch hierin ist Reinhold Ewald einer unter Vielen. Vgl. den Katalog zur Ausstellung in der Aschaffenburger Jesuitenkirche vom 30. November 2002 bis 28. Februar 2003: Brigitte Schad / Thomas Ratzka (Hgg.), Grünewald in der Moderne. Die Rezeption Matthias Grünewalds im 20. Jahrhundert, Aschaffenburg 2002.

[11]    Beispielsweise Otto Dix und Max Beckmann haben wiederholt zu dieser Form gegriffen, stellen aber darin keine religiösen Themen dar.

[12]    Schlußwendung der Präfationen der Messe.

[13]    Auf eine dritte formale Entsprechung sei noch hingewiesen: Vogt kommt bei der formalen Analyse der Kreuzigungstafel des Isenheimer Altars unter anderem zu einer trapezförmigen Anlage der Struktur. Ein solches Trapez beschreiben auch die Chorschrägen Dominikus Böhms in Dettingen, die den für den Betrachter sichtbaren Ausschnitt des Golgota-Bildes vorgeben. (Adolf Max Vogt, Grünewald. Mathis Gothart Nithart. Meister gegenklassischer Malerei, Zürich 1957, 54, Skizze 9a.)

[14]    Josef Myslivec, Art. „Apostel“, Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI), Freiburg 1968ff, I 150–173: 154f.

[15]    Ein Detail der 5. Station „Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen“ kann hier außer acht bleiben: Das Gesicht eines Büttels ist durch den Kreuzesbalken verdeckt. Eine Parallele dazu findet sich in Grünewalds Tauberbischofsheimer Kreuztragung. Hierauf hat bereits Eugenie Börner, Das religiöse Werk, in: Reinhold Ewald (s. Anm. 6), 27–41:29 hingewiesen.

[16]    Seit dem 15. Jahrhundert ist die Tendenz zu beobachten, Kreuzigungsbilder um weitere Gestalten auf der Bühne des heilsgeschichtlichen Ereignisses zu erweitern. Maria und Johannes stehen dann unter dem linken Querbalken und rechts erscheinen historische oder zeitgenössische Figuren. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Stifter des Bildes oder deren Namenspatrone. Manchmal ist eine ganze Gruppe von Heiligen in einer Art sacra conversatione dargestellt. Unter ihnen befindet sich nicht selten auch Johannes der Täufer. Die ikonographische Gestaltung des Themas ist dabei stets von der Stiftungsidee bestimmt. (Géza Jászai u.a., Art. „Kreuzigung Christi“, in LCI [s. Anm. 14] II 606–642: 630.) Einzigartig in der Kunstgeschichte ist jedoch die Gegenüberstellung der klassischen Figurentrias von Maria, Johannes und Magdalena einerseits und dem Täufer andererseits.

[17]    Reinhold Ewald, Die Pfarrkirche aus Sicht des Malers, in: Sehnsucht des Raumes (s. Anm. 2), 117f.

[18]    Ebd.

[19]    Grünewald hat bei der Arbeit an seinem Isenheimer Altar die zunächst aufrecht stehende Muttergottes nachträglich zu der jetzt zu sehenden Haltung korrigiert. (Heinrich Alfred Schmid, die Gemälde und Zeichnungen von Matthias Grünewald, Straßburg 1911, 130.)

[20]    Quellennachweise bei Elisabeth Lucchesi Palli, Art. „Dismas“, in LCI (s. Anm. 14) VI 68–71: 68.

[21]    Urban Rapp, Die Pfarrkirche Peter und Paul, ein Dokument des Expressionismus, in: Die Kirchen in Dettingen am Main, Dettingen 1973, 47f: 48 deutet sie darüber hinaus als Flügel von Cherubim.

[22]    „Johannes glüht wie eine Flamme des Schmerzes.“ Urban Rapp (s. Anm. 21) 48. Weitere Zeugnisse über die ursprüngliche Farbigkeit bei Helmut Winter, „Es muß deshalb nicht Dettingen werden“. Die Dettinger Passion im Spiegel der Kritik, in: Sehnsucht des Raumes (s. Anm. 2) 129–144.

[23]    Reiner Haussherr, Art. „Kruzifixus“, in: LCI (s. Anm. 14) II 677–695 und die dort angegebene Literatur.

[24]    Horst Ziermann, Matthias Grünewald, München 2001, 82 sieht den Jordan als Symbol der Zeit, die zwischen dem Täufer und dem Evangelisten verflossen ist. Eine unangemessene Deutung.

[25]    Aimé-Georges Martimort, Handbuch der Liturgiewissenschaft, Freiburg 1963/1965, II 101.

[26]    Auch auf Grünewalds verschollener Magdalenenklage ist eine Leiter zu sehen. Sowohl die ungewöhnliche Perspektive auf das schräg ins Bild ragende Kreuz wie auch Winkel und Stellung der Leiter erinnern stark an Dettingen. Christoph Krafft fertigte 1648 eine Kopie des Altarblattes Grünewalds. Möglicherweise gehörte es zusammen mit der Beweinung, auf der die Leiter ebenfalls begegnet, zu einem Altar der Aschaffenburger Heiliggrabkirche. Gleichwohl ist die Magdalenenklage wohl nicht als Vorlage Ewalds in Anschlag zu bringen, setzte sich doch erst um 1920 langsam die Erkenntnis durch, daß Kraffts Gemälde auf Grünewald zurückgeht.

[27]    Vielleicht liegt hier auch ein Zitat der beiden Säulen Jachin und Boas vor, die die Vorhalle des Salomonischen Tempels schmückten (1Kön 7,21; 2Chr 3,17). Damit wäre das Dahinterliegende als Heiligtum bezeichnet.

[28]    Protoevangelium des Jakobus, Kapitel 10.

[29]    Ziermann (s. Anm. 24) 106 zitiert Luzian Pfleger, Kirchengeschichte der Stadt Straßburg im Mittelalter, Colmar 1941, 40, der eine Vorschrift aus dem 12. Jahrhundert wiedergäbe, am Fest der Verkündigung (25.3.) die Vorhänge des Altars zu öffnen. Tatsächlich findet sich bei Pfleger an der angegebenen Stelle kein solcher Hinweis.

[30]    „Das Zepter als insignium höchster Macht“ Ziermann (s. Anm. 24) 110.

[31]    Hierüber und über den kühnen Hüftschwung des Engels gab es die meisten Proteste. Auf Druck der kirchlichen Obrigkeit sah sich Ewald veranlaßt, die kritisierten Stellen zu entschärfen. Bei einer Renovierung 1964 konnte er das Bild wieder an seinen ursprünglichen Zustand heranführen. Ergänzt wurde seinerzeit der Nimbus Mariens. Zu den Konflikten um die Bilder vgl. Helmut Winter, „Es muß deshalb nicht Dettingen werden“ (s. Anm. 22).

[32]    Mathis Gothart Nithart. Grünewald. Der Isenheimer Altar, Stuttgart 1973, 90

[33]    Auch Rügamer (s. Anm. 1), der antritt, den Isenheimer Altar „im Lichte der Liturgie“ zu interpretieren, schweigt über dieses Detail.

[34]    Ursprünglich entstammt das Offizium dieses Tages dem Quatembermittwoch im Advent, ist aber schon in den ältesten Gradualien auch dem 4. Adventssonntag zugeordnet.

[35]    „Man wir beim Anblick der Gemälde an Grünewald, der ja auch ein Sohn dieser Gegend ist, erinnert.“ Urban Rapp (s. Anm. 21) 47.

[36]    Eine erste Gesamtbeurteilung des Grünewaldschen Werkes erschien 1847. [Jacob Burckhardt, in: Franz Kuglers Handbuch der Geschichte der Malerei, Berlin 21847, 248.] Erst Alfred Woltmann erreichte 1872 eine größere Öffentlichkeit mit seinem Artikel über den „deutschen Correggio“. [Alfred Woltmann, Streifzüge im Elsaß V. Der deutsche Correggio, in: Zeitschrift für bildende Kunst 8 (1873) 321ff.] Daraufhin begann sich die Fachwelt vermehrt mit ihm auseinanderzusetzen. Als Entdecker der Intensität der Kreuzigungsdarstellungen muß allerdings Joris-Karl Huysmans (1848–1907) gelten. Seine Beschreibung der Tauberbischofsheimer Kreuzigung, die er 1891 in seinem Roman „Là-Bas“ veröffentlichte und die 1895 in einer deutschen Übersetzung in der Kunstzeitschrift Pan erschien, [Joris-Karl Huysmans, Die Kreuzigung von Matthaeus Grünewald, in: Pan (1895) Heft 2, 95–96. Der Beschreibung war auch eine Abbildung sowie eine Einleitung durch Oskar Eisenmann beigegeben.] ist „die erste und großartigste, die diesem Bild gewidmet worden ist“. [Kurt Martin, Grünewalds Kreuzigungsbilder in der Beschreibung von Joris-Karl Huysmans, Mainz 1966, 25.] Neben dieser literarischen Beschreibung widmete von Seiten der Wissenschaft Heinrich Alfred Schmidt etwa zeitgleich einen Aufsatz, der als Vorstudie zur ersten Grünewald Monographie gelten kann, die 1911 in Straßburg erschien. [Heinrich Alfred Schmidt, Matthias Grünewald, in: Festbuch zur Eröffnung des historischen Museums in Basel, Basel 1894, 34ff. Ders., Die Gemälde und Zeichnungen von Matthias Grünewald, Straßburg 1911.]

[37]    Katharina Heinemann, Entdeckung und Vereinnahmung. Zur Grünewald-Rezeption in Deutschland bis 1945, in: Grünewald in der Moderne (s. Anm. 10), 8–17: 12f.

[38]    Im Nachlaß des „Meister Mathis Maler“ von 1528 fanden sich etliche reformatorische Druckschriften. Bernhard Müller Wirthmann, Von Fellen, Farben und Vermischtem. Das Nachlaßinventar des Mathis Gothart-Nithart, in: Das Rätsel Grünewald [Ausstellungskatalog], Aschaffenburg 2002, 71–84.

[39]    Eine Beeinflussung Guido Guersis durch den Prediger Geiler von Kaisersberg ist anzunehmen. Maria Lanckoronska, Matthäus Gotthart Neithart, Sinngehalt und historischer Untergrund der Gemälde, Darmstadt 1963, 87. Rügamer (s. Anm. 1) 161.

[40]    WA V 108

[41]    W. von Loewenich, Luthers Theologia Crucis, Witten 51967, 28.

[42]    WA I 362.

[43]    Vgl. die fünf Elemente lutherischer Kreuzestheologie bei Loewenich, 23 (nach Arnold Angenend): Offenbarung: der Täufer als der Bote jenseitiger Welt. — Verhüllte Offenbarung: die umgebende Dunkelheit. — Offenbarung im Leiden: der Gekreuzigte. — Erkenntnis nur durch Glauben: Verweis des Täufers auf die Schrift. — Verwirklichung: im Mitleiden der Gläubigen.

[44]    Isenheim ist insofern untypisch, da die Kirche gleichzeitig Krankensaal eines Hospitals war. Hier sind selbstverständlich andere Bildprogramme zu erwarten als in einer Pfarr-, Ordens- oder Kathedralkirche.

[45]    Johannes van Acken, Christozentrische Kirchenkunst. Ein Entwurf zum liturgischen Gesamtkunstwerk, Gladbeck 1922, 24.

[46]    Herbert Muck, Von Bauformen zu Raumgestalten für Gemeindeliturgie. Christozentrik und Langhausproblem, in: Sehnsucht des Raumes (s. Anm. 2), 163–170: 166.

[47]    Michael Pfeifer, Semper reformanda. 75 Jahre Veränderungen, in: Sehnsucht des Raumes (s. Anm. 2) 69–78:78.


publiziert in:
Neues Magazin für Hanauische Geschichte 2003, S. 69–86