„Der Bischof breitet die Hände über der Gabe aus, und dabei soll er zusammen mit dem gesamten Presbyterium das Dankgebet sprechen:
Der Herr sei mit euch.
Und alle sollen antworten: Und mit deinem Geiste.
Empor die Herzen. – Wir haben sie beim Herrn.
Laßt uns danksagen dem Herrn. – Das ist würdig und recht.
Und er soll so fortfahren:
Wir sagen dir Dank, Gott, durch deinen geliebten Knecht Jesus Christus,
den du uns in diesen letzten Zeiten als Retter, Erlöser
und Boten deines Willens gesandt hast.
Er ist dein von dir untrennbares Wort,
durch ihn hast du alles geschaffen zu deinem Wohlgefallen.“
So oder so ähnlich beten wir in jeder Messfeier. Tatsächlich stammt der Text aus einem Buch, das dem hl. Hippolyt zugeschrieben wird, der sogenannten Traditio Apostolica (Apostolische Überlieferung). In jeder Messe bedienen wir uns der Worte unseres Ortspatrons. Aber wer war er? Das zu ergründen ist nicht einfach, mischen sich doch in seiner Biographie Motive mehrerer Personen.
Im Martyrologium von 1860 stehen vierzehn Personen mit Namen Hippolyt, davon wenigstens sieben, die die historische bzw. legendarische Gestalt unseres Heiligen berühren. Das Gedächtnis des Heiligen wird seit dem 3. Jh. ununterbrochen am 13. August begangen, einem Festtag, der bei den Römern mit der Göttin Diana (Artemis) in Verbindung stand. Davon wird noch zu reden sein.
Die Legende, die das Martyrologium am 13. August bietet, ist allerdings ein hochartifizelles Produkt und als Literatur keinesfalls wörtlich zu nehmen. Auch dazu weiter unten.
Griechische Mythologie
In der griechischen Mythologie war Hippolytos (wörtlich: der die Pferde loslässt) Sohn des Theseus und der Amazone Antiope. In Hippolytos verliebt sich Phaidra, die spätere Frau des Theseus, doch ihre Liebe bleibt unerwidert. So tötet Phaidra sich selbst, hinterlässt aber einen Abschiedsbrief, in dem sie behauptet, Hippolytos habe ihr nachgestellt. Daraufhin verflucht Theseus seinen Sohn Hippolytos. Dieser flieht auf einem Wagen und gilt seither als berühmter Wagenlenker.
Auf Theseus’ Bitten schickt Poseidon, der Gott des Meeres ein Seeungeheuer an den Strand, an dem Hippolytos mit einem Pferdewagen unterwegs war. Die Pferde scheuen, der Wagen rast an einen Ölbaum, Hippolytos verfängt sich in den Zügeln und wird zu Tod geschleift.
Eine Fortsetzung dieser abenteuerlichen Geschichte findet man in mehreren Varianten. Bei Apollodor heißt es, Asklepios habe den Verunglückten wieder zum Leben erweckt und er lebe unerkannt als Virbius in einem Hain der Diana.[1] Eratosthenes behauptet, er sei an den Himmel versetzt worden als Sternbild, das heute als Fuhrmann, Wagenlenker bezeichnet wird.[2]
Des Hippolyt-Stoffes haben sich große antike Schriftsteller wie Pausanias, Euripides, Sophokles, Ovid oder Seneca angenommen.
Hippolyt von Rom
Leben
Hippolyt von Rom ist wohl vor 170 geboren worden. Er stammte wahrscheinlich aus dem griechischen Osten des römischen Reiches, vielleicht aus Kleinasien. Er bezeichnete sich selbst als Schüler des hl. Irenäus von Lyon, der aus Smyrna (Izmir) stammte. Irenäus war mehrfach, wenn auch immer nur kurz in Rom.
Hippolyt wurde Priester und war ein hochangesehenes, gelehrtes Mitglied der Christengemeinde von Rom – lange vor der Konstantinischen Wende, in einer Zeit, als es immer wieder punktuell zu Verfolgungen kam, sich die Christen aber auch zeitweilig frei in der heidnischen Gesellschaft bewegen konnten.
Hippolyt hatte unter Bischof Victor im Klerus von Rom eine einflussreiche Stellung inne. Victors Nachfolger Zephyrinus wählte sich als Mitarbeiter einen gewissen Calixtus, einen ehemaligen Sklaven, mit dem Hippolyt schnell in scharfen persönlichen Gegensatz geriet. Es ging dabei zunächst um theologische Streitfragen. Als Calixtus im Jahr 217 zum Papst gewählt wurde, beschuldigte er den Hippolyt und seine Anhänger der Irrlehre.
Beide trugen auch einen Zwist in der Morallehre aus. Calixtus erlaubte die Ehe zwischen Sklaven und Freien, was nach staatlichem Gesetz verboten war. Hippolyt legte dies als Duldung des Konkubinats aus und sah darin eine billige Massenwerbung für die Kirche und den Ruin der kirchlichen Zucht. Auch ermöglichte Calixtus die Wiederaufnahme von Sündern, während Hippolyt für größere Strenge eintrat. Für ihn ist Kirche eine Gemeinschaft der Reinen und Heiligen.
Hippolyt trennte sich von Calixtus und ließ sich vermutlich von einer Minderheit der römischen Gemeinde als ihr Leiter und damit zum ersten Gegenpapst der Kirchengeschichte ausrufen. Die Gegenpapst-These ist heute fraglich, aber die inhaltliche Differenz führte sicher zu einem Schisma (Spaltung) in der Kirche von Rom.
Das Schisma des Hippolyt dauerte von 217, der Wahl des Calixtus, bis 235 an, also auch unter den auf Calixtus folgenden Bischöfen Urban und Pontianus. Diese 20 Jahre sind keine Kleinigkeit, die man schnell vergessen könnte.
Kaiser Maximinus Thrax, der anders als sein Vorgänger wieder stärker gegen Christen vorging, verbannte Papst Pontianus und Hippolyt, also die führenden Köpfe der Gemeinde zusammen nach Sardinien, wo beide 235 auf ihr Amt verzichteten und so das Schisma beendeten.
Sie erlagen schließlich den Strapazen in den Bergwerken, und wurden am 13.8.236 in Rom bestattet: Pontianus in der Papstgruft der Calixtus-Katakombe – die Grabplatte wurde 1909 entdeckt – Hippolyt in dem nach ihm benannten Coemeterium an der Via Tiburtina. Spätestens seit dem 4. Jh. wurden beide als Märtyrer verehrt. Im Kalender stand übrigens Hippolyt stets an erster Stelle des Doppelgedenktags. Ab ca. 500 verschwand Pontianus aus dem Kalender und tauchte in der Neuzeit an einem anderen Datum wieder auf, am 19. November. Seit der Kalenderreform vom 1969 finden sich beide Heilige wieder am 13. August, nun aber wurde Pontianus dem Hippolyt vorangestellt.
Werk
Hippolyt war ein ungemein fruchtbarer und einflussreicher Schriftsteller. Wohl weil er auf Griechisch schrieb, wurden seine Werke im Westen schnell vergessen. Im Osten hingegen wurden die Schriften tradiert und ins Syrische, Arabische, Koptische und Slawische übersetzt.
Unter seinen Werken sind zunächst Bibelauslegungen zu nennen. Sein Kommentar zur Susanna-Erzählung im Danielbuch deutet die Geschichte als Allegorie für das Verhältnisses zwischen Christus und der Kirche. Es handelt sich bei dieser Schrift um den ältesten erhaltener Bibelkommentar. Er entstand um das Jahr 200. Hippolyt verfasste auch einen Kommentar zum alttestamentlichen Hohelied.
Unter seinen apologetischen und dogmatischen Werken ist sein wichtigstes eine zehnbändige Arbeit namens „Philosophumena“ über die Häresien, die er sämtlich auf heidnische Philosophien und Mysterien zurückführt. Darin schlägt sich auch seine dogmatische Auseinandersetzung mit der Callixtus-Gruppe nieder.
Seine Weltchronik (von Adam bis 234 n. Chr.) ist aufschlussreich über die damaligen geographischen Vorstellungen sowie über die Kenntnisse seiner Zeit über die Segelkunst. Hieronymus bemerkt, er wisse nicht, was er an Hippolyt mehr bewundern solle: seine Kenntnisse der Heiligen Schrift oder seine Gelehrsamkeit in weltlichen Fächern. Hippolyt war wohl das, was man später einen Universalgelehrten nannte.
Hippolyt verfasste auch Predigten über Ostern und über die Psalmen. Sehr wahrscheinlich ist er der Verfasser des sogenannten „Canon Muratori“, des ältesten Verzeichnisses der Bücher des Neuen Testaments. Viele seiner Schriften sind heute verschollen, werden aber als benützte Quellen in den Werken anderer altkirchlicher Autoren wiedererkannt. Unter anderen benutzten Ambrosius und Hieronymus seine Werke.
Statue
Im Jahr 1551 wurde in Rom eine Marmorplastik gefunden. Sie zeigt einen Lehrer, Philosophen oder Gebildeten, der auf einer Kathedra sitzt. Auf der Seite dieses Lehrstuhls sind Osterfesttabellen und Titel von Schriften eingemeißelt, die von Hippolyt stammen. Darunter auch die eingangs zitierte Schrift Traditio Apostolica, die den Stand der Liturgie vor der Konstantinischen Wende abbildet. Das nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschaffene zweite Hochgebet geht auf dieses Eucharistiegebet Hippolyts zurück, das in dieser Schrift überliefert ist. In vielen unserer liturgischen Feiern kommt also der hl. Hippolyt zu Wort.
Die Marmorstatue (der Kopf wurde ergänzt) ist zu Lebzeiten Hippolyts, wohl 224, gefertigt worden. Papst Johannes XXIII. ließ sie am Eingang der Vatikanischen Bibliothek aufstellen.
Wie passen Dettinger Bilder zu dieser Biographie?
Dettinger Kreuz
Die rätselhafteste Darstellung ist wohl das sogenannte Dettinger Kreuz, das auch 1960 ins Gemeindewappen von Dettingen und nach der Fusion 1975 von Karlstein übernommen wurde. Das Gewölbe der rechts an den Chor angebauten Nische ist von einem doppelten Kreuzrippengewölbe überspannt, welches in der Mitte eine rautenförmige Fläche ausspart, in dem ein T-förmiges Kreuz eingearbeitet ist. An den Kreuzesbalken ist ein mit knielangem Rock und Kopfbedeckung bekleidete bärtige Gestalt mittels Stricken gebunden. In der inschriftlich belegten Entstehungszeit dieser Kleinarchitektur (1447) war die ikonographische Tradition der Romanik längst vergessen, in der Christus mit langem Haar und in herrschaftlicher Tunika als König am Kreuz thront und es entstand die Legende der hl. Wilgefortis (Kümmernis), einer gekreuzigten, bärtigen Frau.
Eine interessante Parallele ergibt sich zwischen dieser Darstellung und den um 1390 entstandenen Fresken in der Hippolytkirche auf Glaiten im südtiroler Passeiertal. Dort sind die ausgestreckten Arme des nur mit einem Lendentuch bekleideten Heiligen mit Stricken an einen Querbalken gebunden, sodass sich eine Kreuzesform ergibt. Die Folterszene ist eine direkte Umsetzung des in der Legenda aurea enthaltenen Berichts, wonach Kaiser Decius den Heiligen „mit Knütteln schlagen und sein Fleisch mit eisernen Kämmen zerreißen“ ließ.[3] Handelt es sich bei den Heiligen am Dettinger Kreuz also doch um den Kirchenpatron selbst?
Fresko
Kaum mehr lesbar sind die Heiligendarstellungen in den Fenstergewänden des Chores. Während die hl. Katharina links am Rad als ihrem Attribut erkennbar ist, bleibt der rechts dargestellte Bischof anonym. Allerdings wurde Hippolyt in dieser Zeit auch als Bischof dargestellt. Bekannt ist beispielsweise ein Altarflügel im Ulmer Münster aus dem Jahr 1521.[4] Dort ist Hippolyt zusammen mit der hl. Barbara dargestellt, die häufig der hl. Katharina gegenübergestellt wird.
Halbfigur
Am zentralen Gewölbeansatz des nördlichen Seitenschiffs ist auf einer Konsole die Halbfigur eines Heiligen befestigt. Sie zeigt ihn mit gesprengten Ketten, nach oben ausgestrecktem rechten Arm und dem Siegslorbeer auf dem Haupt. Zwar ist die Kette als Attribut für Hippolyt unüblich, doch stellt sie einen Bezug zu seiner Gefangenschaft und Verbannung her. Als Märtyrer – darauf verweist der Siegeslorbeer – wird Hippolyt bereits im 6. Jh. mehrfach dargestellt.[5]
Gemälde
Schließlich zeigt ein barockes Ölgemälde, das sich bis 1950 als zentrales Altarbild im neugotischen Retabel befand, ein ganz anderes Martyrium des hl. Hippolyt: Er wird, an den Schweif eines Pferdes gebunden, zu Tode geschleift. Diese Szene führt zu einer weiteren Legende um den Heiligen, die mit der realen Person, wie wir sie kennengelernt haben, auf den ersten Blick nichts zu tun hat.
Die Offizierslegende
Sixtus, zur Zeit der Verfolgung des Kaisers Decius, Bischof von Rom, hatte die Verwaltung des Kirchenvermögens seinem Diakon Laurentius überlassen. Als Sixtus hingerichtet werden sollte, bat Laurentius: „Verlass mich nicht Vater! Wo gehst Du hin, wohin du mich nicht mitnähmest?“, und er erklärte, er habe seine Schätze bereits verteilt.
Dadurch wurde der Kaiser auf Laurentius aufmerksam und versuchte, unter der Folter etwas über die Schätze der Kirche zu erfahren. Im Gefängnis übergab Decius den Laurentius einem gewissen Hippolyt, einem Offizier der kaiserlichen Prätorianergarde.
Im Kerker wirkte Laurentius die Heilung eines Blinden, worauf sich Hippolyt bekehrte und sich taufen ließ. Auch die Mitglieder von Hippolyts Hausfamilie wurden Christen.
Laurentius erbat schließlich vom Kaiser eine Frist von drei Tagen, für die Hippolyt bürgte, um die Schätze der Kirche zusammenzutragen. Auf Wagen fuhr er Arme, Kranke und Alte zum Kaiser und erklärte: „Das sind die Schätze der Kirche, die nie weniger, sondern immer mehr werden. Ihre Hände haben die guten Taten an ihnen in den Himmel getragen.“
Daraufhin ließ der Kaiser Laurentius auf einem glühenden Rost hinrichten. Der Priester Justinus begrub ihn am nächsten Tag.
Justinus war es auch, der der Hausgemeinschaft Hippolyts, seiner Amme Concordia und seinen Sklaven die Eucharistie spendete. Noch bevor sie sich danach zum Essen niederlassen wollten, kamen Soldaten und brachten Hippolyt zum Kaiser. Vor ihm bekannte sich Hippolyt als Christ und wurde daraufhin mit Keulen geschlagen und mit eisernen Kämmen zerfleischt. Hippolyts Vermögen wurde beschlagnahmt und seine Familie verhaftet. Stellvertretend für die anderen bekannte die Amme Concordia: „Wir wollen mit unserem Herrn lieber in Ehre sterben als in Unehre leben.“ Sie wurde auf der Stelle erschlagen. Hippolyt und seine Haussklaven wurden vor das Stadttor an der Via Tiburtina geführt, die Sklaven dort enthauptet und Hippolyt mit den Füßen an wilde Pferde gebunden und durch Disteln und Dornen zu Tode geschleift.
Diese sog. „Offizierslegende“ des hl. Hippolyt, begegnet erstmals um 500. So fand sie auch Eingang ins Brevier an den Festtagen von Laurentius und Hippolyt.
Zunächst treten in dieser Legende sachliche Fehler zu Tage:
- Laurentius und Hippolyt lebten nicht zu Zeiten des Kaisers Decius,
sondern unter Valerian. - Der Presbyter Hippolyt war bereits seit zwei Jahrzehnten tot, als Laurentius das Martyrium erlitt.
- Die Todesart widerspricht römischem Recht und erinnert stattdessen an den antiken Mythos von Hippolytos dem Wagenlenker.
Aber auch darüber hinaus scheint es keine Übereinstimmungen der beiden Hippolyt-Legenden zu geben. Tatsächlich muss man eine Schicht tiefer graben und sich in die Erzählkunst der Spätantike begeben.
Spätantike Bildersprache
Neben den Apostelfürsten Petrus und Paulus waren Laurentius und Hippolyt die populärsten römischen Heiligen. Schon im 4. Jh. sind Laurentius und Hippolyt häufig zusammen abgebildet. Auch gibt es mehrere „Nachbarschaftspatronate“ von Laurentius und Hippolyt wie im Fall der einstigen Mutterpfarrei Kleinostheim und ihrer Filalkirche in Dettingen. Warum aber hat man die beiden in Verbindung gebracht, obwohl der gelehrte Theologe Hippolyt bereits zwanzig Jahre vor Laurentius auf Sardinien gestorben war?
Einer der Gründe liegt in der Nachbarschaft der Gedenktage von Hippolyt (13.8.), Sixtus (7.8.) und Laurentius (10.8.). Ferner besteht auch eine Nachbarschaft der Grablegen. Den Leichnam des Laurentius hat man am Begräbnisplatz in die Obhut, also in die Nähe, des Hippolyt gegeben. Die Legende erzählt es so, als habe Hippolyt Laurentius im Gefängnis bewacht. In der Legende stirbt Hippolyt als Neugetaufter. Für die Kirche sind Sünder, die sich bekehren, wie Neugetaufte, die zur Kirche (zurück) gefunden haben. Im Bild der Taufe durch Laurentius erzählt die Legende, dass Hippolyt sich kurz vor seinem Tod bekehrt hat.
Den Skandal des Schismas, der auf der Biographie des Theologen Hippolyt lastet, verschleiert sie kunstvoll: Das Pferd steht in der Antike für Leidenschaftlichkeit – wir sprechen von „feurigen Rossen“. Von diesen Leidenschaften wurde Hippolyt jahrzehntelang zerrissen, als er getrennt von der Kirche eine eigene Gemeinde leitete. Immer wieder schaukelten sich die Emotionen in den theologischen Diskussionen hoch. Hippolyts Schriften zeugen davon. Dazu kamen noch persönliche Eifersüchteleien um Geld, Stand und Bevorzugungen. Die Legende fasst all das ins Bild des Pferdes. Der Name „Hippolyt“ (hippos – Pferd) und der antike Mythos haben ebenfalls Pate gestanden.
Eine besondere Rolle spielt auch die Amme Concordia, die sich ebenfalls aus dem antiken Mythos ableiten lässt und die in der Legende zu einem Bild der römischen Gemeinde wird – nicht umsonst bedeutet concordia „Einheit“. Ihre Aussage vor dem Kaiser „Ich gehöre zu meinem Herrn, koste es, was es wolle“, die sie als oberste Sklavin des Hippolitschen Hauses trifft, erinnert an die Blankovollmacht, die Petrus Christus im Evangelium gibt: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16ff) Der Papst nennt sich Servus servorum Dei, also gewissermaßen „oberster Sklave“.
Auch die Sklaven Hippolyts aus der Offizierslegende, die ohne weiteres Verhör vor dem Stadttor enthauptet werden, lassen sich deuten als die Gefolgsleute des realen Hippolyt, die sich auf seine Bitten hin nach seinem Tod wieder in die Gemeinde eingliederten.
Dass Hippolyt und seine Gefährten nach einer Eucharistie gefangen genommen wurden, bringt schließlich zum Ausdruck, dass sie die Kirchengemeinschaft wiedererlangt hatten.
Der Festtag 13. August
Es ist ein in der Kirchengeschichte einmaliger Vorgang, dass ein Sektenführer seinen Irrtum erkennt und nach Jahrzehnten der Spaltung noch vor seinem Tod mitsamt seiner Anhängerschaft in den Schoß der Kirche zurückkehrt.
Solche Herzengröße und der glückliche Ausgang der Kirchenspaltung war der römischen Gemeinde einen Festtag wert. Sie legte ihn bewusst auf den 13. August, dem Tag, an dem die Heiden der Göttin Diana mit Pferdeopfern und darüber hinaus der Gründung des Latinischen Bundes gedachten, was gewissermaßen als Geburtstag des römischen Reiches, einer neuen weltumspannenden Gemeinschaft, verstanden wurde. Solche Übernahmen von Festterminen kennen wir von Weihnachten, dem antiken Festtag des sol invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes, oder – weniger prominent – der Gedenktag Cathedra Petri am 22. Februar, in der Antike ein Gemeinschafts- und Versöhnungsfest. Das antike Fest des 13. August war populär und wurde christlich durch den Gedenktag des hl. Hippolyt überformt. Um 400 schildert der spanische Dichter Prudentius den ungeheuren Zustrom der Massen am 13. August zum Hippolytgrab.
Wie aber feiert man einen Heiligen, auf dem der dunkle Schatten der Kirchenspaltung liegt? Einen Gegenpapst spricht man doch nicht heilig!
Man erfindet eine Legende, die die Wahrheit umkleidet, ja – fast möchte man sagen – verschleiert oder vermummt. Und nur, der zu lesen versteht, wird erkennen, wie aus dem gelehrten Schismatiker, der kurz vor seinem Tod in den Schoß der Kirche zurückkehrte, ein von Leidenschaften zerrissener, neugetaufter Märtyrer geworden ist.
Die Legende, die sich für uns wie ein frei erfundenes Märchen über eine völlig andere Person anhört, ist in Wirklichkeit eine kunstvolle Komposition aus Sprachbildern der Spätantike.
Nach dem 5. Jh., als der hellenistische Geist in Rom durch die Wirren der Völkerwanderung untergegangen war, hat man diese Bilder nicht mehr verstanden und stattdessen für bare Münze genommen. So gelangte die Erzählung auch in die wirkmächtige Legenda aurea. Und so ist aus dem Theologen und Gegenpapst der mittelalterliche Pferdepatron geworden, als der er auch in Dettingen jahrhundertelang hoch verehrt wurde.
Anmerkungen
1 Euripides, Hippolytos 1092.
2 Apollodor 3,121.
3 Die Legends aurea des Jocobus de Voragine. Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, Heidelberg 1993, S. 579.
4 LCI VI Sp. 540.
5 LCI VI Sp. 539f.
Dieser Originalbeitrag geht zurück
auf einen Vortrag am 13. Juli 2017
in der St. Hippolytkirche Karlstein-Dettingen