Eine Pfarrei ist kein Kloster

Stundengebet in Gemeindekirchen feiern

Den Seelsorgern empfahl das 2. Vatikanische Konzil, sich um die gemeinsame Feier des Stundengebets in den Gemeinden zu bemühen. (SC 100) In den seither vergangenen vier Jahrzehnten kam es jedoch kaum irgendwo zu einer echten Verwurzelung dieser Liturgie in den Pfarreien. Und das, obwohl seit knapp 20 Jahren zunehmend Gestaltungshilfen, Werkbücher und Studien zum Thema erscheinen.

Alle diese Publikationen versuchen, Gemeinden das Stundengebet schmackhaft zu machen, indem sie die einen oder anderen rituellen oder textlich-musikalischen Elemente zur traditionellen Grundstruktur der Liturgia horarum hinzufügen. Je nach Anlass ergänzt man etwa einen Weihrauchritus, eine Tauferneuerung oder eine Lichterprozession, das Grundgerüst aber bleiben Psalmen und Cantica. Und hier liegt das Problem!

Wirft man einen Blick auf die Entwicklung unserer heutigen Stundenliturgie erkennt man schnell, dass es sich dabei um eine klösterliche Gebetsform handelt. Die frühen Mönche nutzen den Psalter als Gebetbuch. Oft kannten sie ihn sogar auswendig. In der Klosterregel des Mönchsvaters Benedikt (†547) findet man schon weitgehend die Form von Vesper und Laudes, die wir heute feiern, wenn auch die Zahl der Psalmen im Lauf der Jahrhunderte etwas reduziert wurde.

Seit den Anfängen des Christentums und mancherorts bis weit über die erste Jahrtausendwende hinaus folgte gemeindliches Beten abseits der Klöster jedoch einer gänzlich anderen Struktur. Die Liturgie war weniger „textlastig“. Es standen mehr die Riten im Vordergrund. Außer den Vorbetern und Kantoren musste niemand lesen können: Kehrverse, Rufe, Lieder und Gebete kannte man auswendig. So begann das Abendgebet in einer Pfarrkirche mit dem Hereintragen bzw. Entzünden des Lichtes. Der zunächst aus praktischen Gründen notwendige Vorgang wurde spirituell gedeutet und Christus als das „freundliche Licht“ des Vaters besungen. Danach folgten dann doch Psalmen. Anders als in der monastischen Vesper aber stets die selben, meist beginnend mit Ps 141, dessen 2. Vers ihn zum Abendpsalm par excellence macht: „Wie Weihrauch steige mein Gebet vor dir auf; als Abendopfer gelte vor dir, wenn ich meine Hände erhebe.“ Und wieder: War der Psalm zusammen mit einigen weiteren zunächst nur als Abendgebet in Gebrauch, wurde der Text bald rituell gedeutet und zum Begleitgesang eines Weihrauchritus, der wiederum in Zusammenhang mit der abendlichen Bitte um Sündenvergebung gebracht wurde. In den Vortrag der Psalmen stimmte die Gemeinde wohl immer wieder mit Kehrversen ein. Es folgten evtl. Lesung(en) und eine Homilie, bevor der Gottesdienst mit einer Fürbitt-Litanei, dem Vater unser und dem Segen schloss.

Während in den Riten der östlichen Christenheit die Struktur dieser Gemeindevesper oft noch gut nachvollziehbar ist und das Stundengebet ganz selbstverständlich als Gemeindegottesdienst gefeiert wird, kennen wir im Westen seit Jahrunderten nurmehr den Typus des monastischen und von Klerikern als privates Breviergebet vollzogenen Stundengebets. Dies verhindert derzeit eine breite Akzeptanz eben dieses Stundengebetstyps. Psalmensingen ist eben etwas für „Profis“! Bei allem wundervollen Reichtum des Psalters, muss ich zunächst das Handwerk können: Ich muss die Psalmtöne beherrschen, wissen, welche Höhen und Tiefen sich hinter Unterstrichen und Klammern, hinter Schrägstrichen und Sternchen verbergen. Selbst im gesprochenen Vollzug, muss ich noch mit den Pausen umgehen können. Erst wenn mir das ganz selbstverständlich von der Hand geht, wird auch diese Gebetsform zu meiner eigenen. Für viele ein weiter Weg, auf dem sich früh Frustration einstellt.

Wer heute gemeindliches Stundengebet neu einführen will, ist gut beraten, sich demgegenüber auf dessen Wurzeln zu besinnen und nicht zu versuchen aus der Pfarrei ein kleines Kloster zu machen. Der einfache Dreiklang von Lichtritus, Weihrauchritus und Allgemeinem Gebet, angereichert durch einen Lesegottesdienst, könnte hier eine gute Lösung sein, gemeindliches Abendgebet neu in unseren Kirchen zu etablieren. Der Gottesdienst kann sehr feierlich gestaltet werden, wirkt aber schon in ganz schlichter Form sehr ansprechend. Dabei kommt er ohne viele Worte aus und wirkt allein schon dadurch einem oft gehörten Vorwurf entgegen, von Laien geleitete Gottesdienste beschränkten sich rituell auf einen Wechsel von gesungenen und gesprochenen Worten. Selbstverständlich braucht es dazu etwas Sensibilität und Übung im Umgang mit dem liturgischen Raum, den Geräten (Leuchter, Rauchfass …) wie der eigenen Körperhaltung und -verortung. Zudem ist es keineswegs von Nachteil, möglichst viele Elemente der Gemeindevesper übers Jahr unverändert zu lassen und allenfalls in der Rolle des Vorstehers und des Lektors Anpassungen ans Kirchenjahr vorzunehmen. Die Teilnehmer danken es, wenn sie im Vorfeld wissen, was sie erwartet. Auch wird die Vorbereitungszeit dadurch minimiert.

Vielleicht ist es erst heute, 46 Jahre nach Verkündung der Liturgiekonstitution, da in vielen Kirchen kein Kleriker mehr zur Leitung täglicher oder auch nur wöchentlicher Gottesdienste zur Verfügung steht, endlich an der Zeit, das Stundengebet neu für die Pfarreien zu entdecken. Erfolg verspricht eine Form, die gemeindlichem Beten entspricht und gleichzeitig in der Tradition verankert ist: die Gemeindevesper.

 

Aufbau der Gemeindevesper

Die Gemeindevesper besteht nach alter Tradition aus drei festen und einem variablen Element. Jedes dieser Elemente folgt seinerseits einem ähnlich gegliederten Aufbau.

Lichtritus
Akklamation – Hymnus – Oration

[ Lesegottesdienst
etwa: Lesung – Stille – Responsorium, oder: Psalm – Stille – Oration ]

Weihrauchritus
Akklamation – Psalm 141 (Kehrvers) – Oration

Allgemeines Gebet
Fürbitt-Litanei – Vaterunser

Entlassung


ähnlich publiziert in:
Gottesdienst 45 (2011) S. 4–5
Ordenskorrespondenz 55 (2014) S. 35–38

Zum Thema

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Michael Pfeifer

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Geschichte, Bedeutung, Verwendung