Ein wohlgefälliger Duft für den Herrn

Weihrauchherstellung am Berg Athos

In der westlichen Christenheit ist der Weihrauch Zug um Zug in den Hintergrund getreten. Unter den Reformatoren gab es deutliche Ablehnung, und auch in lutherisch-hochkirchlichen Kreisen hielt sich die Praxis des Weihrauchverbrennens nur vereinzelt bis ins 18. Jahrhundert hinein.[1] Bei den Anglikanern wurde die Zulässigkeit von Weihrauch bei gottesdienstlichen Handlungen bis Ende des 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert. Und auch in der römischen Kirche war zu dieser Zeit Weihrauch zu einem Attribut der Festlichkeit verkümmert. Vielfältige symbolische Zusammenhänge und typologische Deutungen, wie sie auch bei den lateinischen Vätern und bis über das Mittelalter hinaus bekannt waren, traten demgegenüber in den Hintergrund. Immerhin verwendete man in der römischen Liturgie den Weihrauch regelmäßig bis zur nachkonziliaren Reform in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts. Obwohl das Räuchern heute – folgt man den Vorschriften des Meßbuches [2] – nicht mehr auf besondere Tage beschränkt ist und Weihrauch zu jeder Messe (und man darf interpretierend erweitern: zu jedem Gottesdienst) entzündet werden kann, führt er seit den siebziger Jahren zweifellos ein Schattendasein in der Mehrzahl der katholischen Kirchen.

Anders ist dies in den östlichen Ritenfamilien der Christenheit. Dort gehört Weihrauch zum festen, ja oft unverzichtbaren Bestandteil liturgischer Handlungen. Von zufälligen Besuchern wird er neben den Gesängen und den Ikonen oft als typisch und kennzeichnend für die liturgische Praxis der Ostkirchen angeführt. Besucht man eine orthodoxe Kirche außerhalb der Gottesdienstzeiten, bemerkt man deutlich seinen den Mauern anhaftenden Geruch, der den ganzen Raum erfüllt. Und selbst für alte Ikonen ist der ins Holz eingedrungene und oft deutlich wahrnehmbare Duft des Kirchenweihrauchs ein Echtheitskriterium.

Das Verbrennen von Räucherwerk und Duftstoffen ist keineswegs etwas dem Christentum Eigentümliches. Nahezu in jeder Religion lassen sich hierzu Beispiele aus Ritus oder Vorstellungswelt finden, die Gottheit mit Wohlgeruch zu verehren bzw. vermittels Räucherung Dämonen und Geister zu vertreiben oder einen heiligen Bezirk abzustecken. Man denke an die Schilderungen aus dem altorientalischen Gilgamesch-Epos,[3] an die auch bei uns beliebten asiatischen Räucherstäbchen, die Riten der brasilianischen Umbanda-Religion oder das im Alpenraum heute noch übliche Ausräuchern von Haus und Stall in den sogenannten „Rauchnächten“ um Weihnachten.

Während die Motive für die Verwendung von Duft und Räucherstoffen im interreligiösen Vergleich einander durchaus ähneln, bedienen sich die Menschen verschiedener Länder verständlicherweise unterschiedlicher Substanzen; jeder greift zunächst auf heimatliche pflanzliche und tierische Stoffe zurück. Anders beim Weihrauch: Obwohl der Weihrauchbaum – seine biologische Bezeichnung lautet „Boswellia sacra“ – nur unter ganz bestimmten klimatischen und geologischen Bedingungen gedeiht,[4] spielte in der Antike das Harz dieses strauchartigen Gewächses eine bedeutende Rolle im gesamten orientalischen und mediterranen Raum. Weihrauch wurde für teures Geld importiert [5] und vor Göttern und Herrschern verbrannt. Allein in den Herkunftsländern findet man Zeugnisse für profane Verwendung des Duftstoffes.

 

Der beste Weihrauch für den Herrn

Weihrauch darzubringen ist – zumindest in früheren Zeiten – ein kostspieliges Opfer gewesen. Für Gott wurde aber immer das Beste und Feinste, das Aufwendigste und Schönste ausgesucht, was die Natur und die Arbeit oder Kunstfertigkeit der Menschen hervorgebracht hat.[6] Dies als Verschwendung zu bezeichnen, ist ein vollständiges Mißverständnis dessen, was Liturgie sein will: ein Wechselspiel zwischen Gott und Mensch. Das Geschenk, das Gott gemacht wird, erfreut im Dienst vor ihm auch unsere Sinne, der Weihrauch im Gottesdienst vermag auch unsere Gedanken zu reinigen, zu stimmen und zum Gebet zu verdichten, das zu ihm aufsteigt.[7]
Daher legt man auch bei uns zunehmend Wert auf einen guten Weihrauch, der wirklich duftet und nicht etwa zum Husten reizt. Während im Westen allerdings die Qualität einzig durch die Verwendung besonders hochwertiger Harze [8] und Geruchsbeeinflussung durch Beimischungen von Rinden, Sandelholz oder Blüten erreicht wird, werden im Osten gerne mit Duftessenzen zubereitete Weihrauchsorten benutzt, deren Grundlage nicht unbedingt ein Harz der Boswellia-Gattung sein muß.

 

Am Athos

In Griechenland wird solchermaßen verfeinerter Weihrauch von den Familien auch zu Hause benutzt und vor den Ikonen entzündet. Man findet kleine Päckchen zum Verkauf daher in Kirchen, besonders an Wallfahrtsorten und selbst an Zeitungskiosken. Klöster sind in der Regel die Hauptproduzenten von Weihrauch.

Dies ist am Athos anders. Hier laben die Einsiedler das Privileg, Weihrauchmischungen herzustellen und zu verkaufen. Vielen ist dies entscheidende Stütze in ihrem Lebensunterhalt. Sie verkaufen ihre Sorten an die Händler in Karyes und Daphni oder bieten sie direkt Pilgern an. sie benutzen ihn als Tauschware, um in den Klöstern Dinge des täglichen Bedarfs einzutauschen. Manche verschicken – wenn es sich um größere Aufträge handelt – die duftende Fracht auch in die Welt. Die großen Klöster des Heiligen Berges dagegen produzieren allenfalls für ihren eigenen Bedarf und kaufen daneben auch nicht ungern selbst bei Einsiedlern.

Blicken wir einem Einsiedler bei der Herstellung eines Rosenweihrauchs über die Schulter. Vater Seraphim lebt in seiner Klause an den Hängen des Athosmassivs. Neben dem Wohnhaus, in das auch die Kapelle integriert ist, hat er sich aus Wellblech eine „Weihrauchfabrik“ gebaut, wie er die Hütte schmunzelnd bezeichnet. Es ist wichtig, im geschlossenen Raum zu arbeiten, da sonst die flüchtigen Substanzen zu rasch verdunsten. Dies ist gerade im Sommer, in dem die griechische Sonne den Schuppen zum Backofen macht, keine Freude.

Vater Seraphim hat einen großen Sack mit fein gemahlenem Harz an eine Wand in der „Fabrik“ gelehnt. Mühlen in großen griechischen Städten zerkleinern das Granulat zu feinem Mehl. Dies dient als Grundstoff, gleichsam als Trägersubstanz für Sie ätherischen Öle.

 

Gemahlenes Harz …

Gemahlenes Harz …

 

Es ist dabei nicht so wichtig, ob es ein hochwertiges Harz aus Jemen oder Somalia ist, oder das einer Koniferenart der Kykladeninsel Chios, das schon seit alter Zeit zum Räuchern benutzt wurde. Der Duft, der schließlich beim Verbrennen entsteht, wird überwiegend durch die weiteren Zutaten bestimmt. Sie stehen bei unserem Einsiedler in einem Regal aufgereiht: große Flaschen mit ätherischen Ölen von Asparagusblüten bis Zypressen. Der bekannte Extrakt aus der Gardenia ist ebenso vertreten wie Veilchen und Nelken, aber auch Thymian und Magnolien sind zu haben. Natürlich fehlt auch kostbares Rosenöl nicht. In Vater Seraphims Regal stehen gleich zwei Rosenessenzen bulgarischer und französischer Provenienz bereit.

Das gewählte Öl wird nun zusammen mit einer Bindesubstanz dem gemahlenen Weihrauch zugesetzt. Das Mischungsverhältnis ist selbstverständlich das Betriebsgeheimnis von Vater Seraphim. Aus den Zutaten knetet er einen festen Teig, dem häufig noch ein Farbstoff beigemischt wird, um die fertigen Sorten nicht nur aufgrund des Geruches, sondern auch optisch unterscheiden zu können. So erhält unser Rosenweihrauch ein rotes, Hyazinthen ein blaues und Zitronenweihrauch ein gelbes Pigment. Die Wellblechhütte in der Einsiedelei durchzieht auf einmal der himmlische Duft Tausender von Blüten, die das Kostbarste, das sie hatten, an das Öl abgaben. So berauschend das Geruchserlebnis sich auch für den zufälligen Besucher ausnimmt, so wenig ungefährlich ist es für den, der häufig seine Atemwege in ätherischen Düften badet. Die stark flüchtigen Öle dringen sehr rasch durch die Schleimhäute in den Blutkreislauf ein und erweitern die Gefäße. Gesundheitliche Folgen sind auf längere Sicht zu erwarten.

In der „Fabrik“ ist nun zügiges Arbeiten vonnöten. Je schneller das Duftöl im Teig gebunden wird, desto stärker duftet der Weihrauch später. Wenn alles gut durchgeknetet ist, wird der Teig in kleinen Portionen auf dem Tisch ausgewalzt.

 

… wird mit ätherischem Öl zu einem Teig geknetet, …

… wird mit ätherischem Öl zu einem Teig geknetet, …

 

Gegen das Ankleben am Tisch und am Walzwerkzeug – es handelt sich um ein längliches Brettchen, auf dessen Oberseite zwei Griffe angebracht sind – wird Magnesiumpuder benutzt.

 

… zu länglichen Portionen ausgerollt …

… zu länglichen Portionen ausgerollt …

 

Die gut bleistiftdicken Wülste werden mit einem Messer in etwa zwei Zentimeter lange Stücke gehackt und in einen Trog mit Magnesiumpuder geworfen. Nun wird die nächste Teigportion ausgewalzt, geschnitten und zwischengelagert.

 

… und in Stücke geschnitten.

… und in Stücke geschnitten.

 

Noch bevor der Weihrauch endgültig aushärtet, müssen die kurzen Abschnitte in etwa fünf Millimeter lange Stücke geteilt werden. Vater Seraphim hat sich dazu in seine Stube zurückgezogen und schneidet die Stangen mit einer Schere beim Schein der Petroleumlampe. Am Ende hat er eine Schüssel mit etlichen Händen voll erbsengroßer Weihrauchkörner vor sich, die in Form und Duft nicht mehr viel mit dem Harz zu tun haben, aus dem sie gemacht sind. Und die ganze Stube duftet nach Rosen.

Wieviel Arbeit in einem Kilo Athosweihrauch liegt ist oft nur schwer zu ermessen. Weihrauch aber, der hier gefertigt wird, ist wirkliches Zeichen des Gebets. Der Name Jesu, der beständig im Herzen des Mönches klingt, wird gleichsam eingeknetet in den Teig und so steigt das Gebet mit dem kostbaren Weihrauch auf [9] zum wohlgefälligen Duft für den Herrn.[10]

 

Anmerkungen

 

[1] Martin Luther stellt die Verwendung des Weihrauchs noch frei (vgl. WA 12,211).

[2] AEM 235.

[3] XI 160f.

[4] Diese Konditionen sind vor allem an der Küste Südarabiens und am Horn von Afrika gegeben. Auch in Indien gedeiht eine Boswellia-Art. Das Harz dieses Baumes hat aber für den Export keine Bedeutung erlangt.

[5] Für einen durchschnittlichen Monatslohn bekam man in Rom vier bis fünf Kilogramm Weihrauch.

[6] Vgl. Mt 2,11.

[7] Vgl. Ps 141 (140).

[8] Man sucht das Harz von Bäumen guter Regionen aus, mischt nur besonders wenig mit Schlaken verunreinigte Körner und verzichtet auf den Harzausfluß der ersten beiden Schnitte der Saison.

[9] Vgl. Ps 141 (140).

[10] Vgl. Lev 2,2.


publiziert in:
Der christliche Osten 49 (1994) S. 226–229