Zu meinen Kindertagen, Anfang der 1970er Jahre, war es noch völlig selbstverständlich, dass die Gemeinde während des Gangs zur Kommunion sang. Die Lieder, oft mehrere Strophen lang, wurden auswendig gesungen. Und auch ich als kleiner Bub sang tapfer der Spur der Erwachsenen hinterher, oft ohne auch nur annährend den Sinn der Worte zu verstehen. So manche Liedzeile ist mir noch heute im Gedächtnis, obwohl sie längst aus den Gesangbüchern verschwunden ist.
Mit Einführung des Gotteslob 1975 änderte sich die Situation. Zwar brachte uns der Pfarrer in der Schule die neuen Lieder, die er am Sonntag mit der Gemeinde einübte – wir Kinder hatten also einen stolzen Wissensvorsprung vor den Erwachsenen – doch zur Kommunion wurde immer weniger gesungen. Vielleicht weil in der Übergangszeit beide Gesangbücher parallel benutzt wurden und dies eigene Probleme aufwarf, vielleicht aber auch weil sich die Erkenntnis durchsetzte, dass im Ablauf der Liturgie zu den Vollzügen passende Texte und nicht irgendwelche „Zeitlieder“ gesungen werden sollten. Der Kommuniongesang kam mehr und mehr außer Übung, und heute ist landauf landab „meditatives Orgelspiel“ statt gemeinsamen Singens verbreitet.
Da Auswendigsingen kaum noch gelingt und sich die Mitnahme eines Gesangbuches zum Kommunionempfang von selbst verbietet, wird immer wieder die Möglichkeit propagiert, Kehrverse im Wechsel mit Kantorengesängen auszuwählen. Meiner Erfahrung nach scheitert diese Praxis an einer grundsätzlichen Unwilligkeit heutiger Gottesdienstteilnehmer, auf dem Weg zu Kommunion zu singen. Selbst in gut besuchten Ostergottesdiensten verklingt das als Kehrvers gebrauchte „Oster“-Halleluja (GL 175,2) kläglich, kaum dass die Gläubigen ihre Plätze in den Bänken verlassen haben.
Dabei hat der Kommuniongesang eine mehrfache Funktion: „Seine Aufgabe ist es, die geistliche Gemeinschaft der Kommunizierenden im einheitlichen Zusammenklang der Stimmen zum Ausdruck zu bringen, die Herzensfreude zu zeigen und den Gemeinschaftscharakter der Prozession zum Empfang der Eucharistie deutlicher sichtbar zu machen.“ (GORM 86, AEM 56i) Wenn gemeinsames Singen also als Ausdruck der communio untereinander ist, liegt es womöglich am kaum mehr empfundenen Gemeinschaftscharakter der Kommunion, dass dieses gemeinsame Singen nicht mehr stattfindet. Daneben spricht das Messbuch von Herzensfreude, die nicht im bloßen Wort, sondern im Gesang ausdrückt – gemäß dem Sprichwort Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über (vgl. Lk 6,45).
Besieht man sich ferner die Texte der für den Kommuniongesang vorgesehenen Kommunionverse, wird man oft eine inhaltliche Nähe zum jeweiligen Tagesevangelium feststellen: Während der Kommunion wird so nochmals an die biblische Botschaft erinnert, und Wortverkündigung und Sakramentenempfang werden zu einer Einheit zusammengeschlossen.
Anders als der Eröffnungsvers, der in der Liturgie selten noch eine Rolle spielt, wird der Kommunionvers meist wenigstens gesprochen. Das Messbuch geht übrigens davon aus, dass dies die Gläubigen, eine Gruppe oder der Lektor tun. (AEM 56i)
Die „falsche“ Stille
Grundsätzlich beginnt der Kommuniongesang „sobald der Priester kommuniziert und wird während der Kommunion der Gläubigen fortgesetzt“. (Ebd.) Die Kommunion des Priesters (und der Umstehenden) wird also mit der Kommunion der Gläubigen durch Musik zu einer Einheit zusammengefasst. Die weit verbreitete Praxis, während der Priesterkommunion Stille zu halten und mit dem Orgelspiel erst zu beginnen, wenn die Kommunionausteilung an die Gläubigen beginnt, ist dagegen nicht sinnvoll. Diese Stille erweckt die Vorstellung, die Priesterkommunion sei etwas wesentlich anderes als die Gläubigenkommunion, weshalb jene ehrfürchtige Stille, diese aber Musik begleitet. Vielen Gläubigen ist es zudem geradezu peinlich, anderen beim Essen und Trinken zusehen (und – durch das Mikrophon verstärkt – zuhören) zu müssen. Daher verfängt auch das Argument nicht, die Stille sei an dieser Stelle zur persönlichen Vorbereitung auf die Kommunion angebracht. Denn das vorbereitende Stillgebet wird Priestern wie Gläubigen gleichermaßen empfohlen, kann also nicht während der Priesterkommunion stattfinden. Vielmehr hat es seinen Ort nach dem Agnus Dei und vor dem Zeigen des gebrochenen Brotes (AEM 56f).
Singen vor der Kommunion
Gute Erfahrungen habe ich mit dem gemeinsamen Gesang vor der Kommunion gemacht. Unmittelbar nach dem „O Herr, ich bin nicht würdig …“ bzw. dem gesprochenen Kommunionvers singt die Gemeinde (während der Priesterkommunion) gemeinsam eine Liedstrophe, schließt sich also noch bevor sie gemeinsam zum Tisch des Herrn tritt nochmals singend zur communio zusammen. Da das Lied – obwohl nur eine Strophe gesungen wurde – danach in Orgelversetten oder -variationen weiterklingt, bleibt auch der gesungene Text im Herzen der Kommunizierenden präsent und schließt Priester- und Gläubigenkommunion zu größerer Einheit zusammen. Neben Liedstrophen, die explizit auf den Sakramentenempfang einstimmen, eigenen sich an dieser Stelle vor allem Lieder, die auf das Evangelium Bezug nehmen, wie das ja auch der Kommunionvers selbst tut. Natürlich sollten Kommunionhelfer und Priester das Ende der Liedstrophe abwarten, bevor sie mit der Austeilung beginnen.
Wenn ein solcher (rudimentärer) Kommuniongesang nicht möglich erscheit, sollte doch wenigstens die stattdessen übliche Begleitmusik unmittelbar nach dem „O Herr, ich bin nicht würdig …“ bzw. dem gesprochenen Kommunionvers einsetzen. Keineswegs ausgemacht erscheint mir, dass der Charakter dieser Musik stets „meditativ“ zu sein hat. Sie sollte die Herzensfreude zum Ausdruck bringen und könnte (wenigstens zuweilen) als festliche Prozessionsmusik gestaltet werden. Immerhin haben wir bereits Anteil am Hochzeitsmahl des Lammes – und welche Hochzeit käme ohne festliche Musik aus?
Das Problem mit dem Kommuniongesang lässt sich wohl nur durch ein tieferes Kommunionverständnis lösen. Wo Stille (bzw. meditative Musik) eher die individuelle Begegnung mit Gott ausdrückt, verdeutlicht der Gesang (bzw. festliche Musik) den Gemeinschaftscharakter. Singen wir also Christus dem Sieger, wenn wir zum Mahl des Lammes schreiten (vgl. GL 642).
publiziert in:
Gottesdienst 49 (2015) S. 113–114