Daß die Gemeinde beim Gabengebet sitzt, mag man aus „rechtlichen“ (AEM 21) und theologischen (zum Gebet erhebt man sich) Gründen bedauern. Aus strukturellen Gründen will mir diese Haltung aber zumindest verständlich erscheinen.
Mit Orationen enden bekanntermaßen liturgische Einheiten. So beschließt das Tagesgebet den Eröffnungsteil der Messe und das Gabengebet die Bereitung von Brot und Wein. Das Schlußgebet beschließt nicht – wie die deutsche Bezeichnung glauben macht – die Messe als Ganzes, sondern steht vielmehr am Schluß des Kommunionteils, der mit dem Vater unser beginnt. Der Titel „Postcommunio“ für diese Oration ist treffender. Im Rahmen der Entlassung kann unmittelbar vor dem Segen noch eine weitere Oration, als „Gebet über das Volk“ gesprochen werden und auch der Wortgottesdienst schließt mit den Fürbitten als einer um mehrere Intentionen entfalteten Oration.
Während am Ende des Eröffnungsteils und des Wortgottesdienstes deutliche Zäsuren wahrnehmbar sind – nach dem Tagesgebet setzt man sich zur Wortverkündigung, nach den Fürbitten zur Gabenbereitung – ist die Sache bei Gaben- und Schlußgebet schwieriger. Die Gabenbereitung vollziehen die liturgischen Dienste gewissermaßen unter Ausschluß der Öffentlichkeit. In der Regel singt die Gemeinde währenddessen ein Lied, wird jedenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen durch die Akklamation „Gepriesen bist du, Herr unser Gott“ am Ende der Gebete über Brot und Wein einbezogen. Das nach dem Offertoriumsgesang laut gesprochene Gabengebet schließt also einen Ritus ab, der sich für die Gemeinde kaum wahrnehmbar am Altar vollzogen hat. Konsequent wäre, diesen „Geheimritus“ auch mit der „Secreta“ abzuschließen. Sicher ist es zu begrüßen, daß die versammelte Gemeinde nun (wenigstens) durch das vernehmlich gesprochene Gabengebet an der Bereitung von Brot und Wein beteiligt wird. Doch wird schon durch den Wechsel der Gebetsstimme des Zelebranten – still während der Bereitung, vernehmlich, gar kantillierend beim Gabengebet – sowie ferner durch einen Wechsel der Körperhaltung der Neubeginn eines liturgischen Abschnitts suggeriert. Durch das Aufstehen zum Gabengebet verschiebt sich die strukturelle Zäsur in der Wahrnehmung von nach dem Gabengebet auf vor das Gabengebet. Daß mit dem anschließenden Einleitungsdialog der Präfation das große eucharistische Lob- und Dankgebet als Kernstück der Messe anhebt, wird dadurch verschleiert.
Ähnlich ist das Problem beim Schlußgebet gelagert. Der mit dem Vater unser beginnende Kommunionteil schließt nach der Austeilung mit Besinnung, Dankhymnus und Oration. Da die Stille (wenn überhaupt) in der Regel knieend oder sitzend gehalten und der Hymnus meist sitzend gesungen wird, wirkt das Aufstehen zum Schlußgebet wie der Beginn eines die Messe abschließenden Teils und nicht wie der Abschluß der Kommunion. Erschwerend kommen noch die Vermeldungen hinzu, die oft fälschlich – weil die Leute eben noch sitzen – vor dem Schlußgebet eingeschoben werden. Doch selbst wenn sie korrekt nach der Oration folgen, bleibt das Problem der Körperhaltung bestehen: Steht man zur Oration auf, setzt sich nach dem Schlußgebet wieder für die Vermeldungen und erhebt sich danach wieder für den Segen?
Daß eine Gebetseinladung und eine nachfolgende Stille zum persönlichen Gebet zur Oration gehören, sollte sich von selbst verstehen. Daß die Einladung nicht immer „Lasset uns beten“ heißen muß zeigen uns die Varianten der Einladung zum Gabengebet. Form A („… daß er die Gaben der Kirche annehme …“) gibt gewissermaßen die Gebetsintention für die nachfolgende Stille vor. Form C („Betet, Brüder und Schwestern …“) gibt in der Gemeindeantwort („Der Herr nehme das Opfer an …“) ein Beispiel für das normalerweise in Stille aufsteigende persönliche Gebet.
Die Gebetseinladung aber als ein Aufruf zum Wechsel der Gebetshaltung zu mißbrauchen, hieße sie zu überfrachten. Wenn die Gläubigen auf „Lasset uns beten“ konditioniert sind und auf diesen Ruf hin aufstehen, ist es um die nachfolgende Gebetsstille geschehen. Sie wird von den Geräuschen des Sich-Erhebens, des Gliederrecken und sich für die kommende Oration Festen-Stand-Suchens überdeckt. Warum nicht bereits vor der Gebetseinladung in angemessener Form zum aufrechten Stehen auffordern? Unsere Liturgie hält doch entsprechende Formeln bereit. Zwar sind die Monitionen „Beuget die Knie! – Erhebet euch!“ (wenn überhaupt) meist nur noch am Karfreitag üblich, doch eignen sie sich in ihrer Prägnanz und stilistischen Angemessenheit besser für den liturgischen Vollzug als manch nett gemeinte Formulierung wie „Wir stehen jetzt auf.“ Werden sie vom Diakon gar gesungen, wirken sie ausgesprochen organisch vor einer ebenfalls kantillierten Oration. Noch treffender als das römische „Erhebet euch!“ ist womöglich das ostkirchliche „Stehet nun aufrecht!“, beinhaltet es doch auch den Aspekt des aufrecht vor Gott stehenden, erlösten Menschen.
Auch ich bin der Meinung, daß man zum Gebet stehen sollte, allerdings sollte man der Frage der Körperhaltungen im Zusammenhang mit der inneren Struktur der Liturgie die nötige Aufmerksamkeit schenken.
publiziert in:
Gottesdienst 37 (2003) S. 114