«Liturgisch» sprechen

Zu den frei formulierbaren Texten in der Liturgie

„Liturgiam authenticam“, die Übersetzerinstruktion des Heiligen Stuhls aus dem Jahr 2001, hofft auf die „allmähliche Entwicklung eines sakralen Stils“ in den Landessprachen, ja sogar auf so etwas wie eine „volkstümliche Sakralsprache“. Jenseits der Fragestellung, was das für das Deutsche bedeuten mag, dürfte klar sein, dass sich liturgische Sprache von Umgangssprache unterscheidet. „Wir sind nicht auf einem Grillplatz“, wird Kardinal George Pell, Vorsitzender der Kommission Vox clara, zitiert.

 

Die richtige Form

Geht es der Instruktion um die Texte in den liturgischen Büchern, stellt sich die Frage bei den freiformulierten Texten im Gottesdienst in ähnlicher Weise. Hier sind zum einen Passagen zu nennen, die durch andere Texte ersetzt werden können. Im Messbuch heißt es dazu oft, dass „mit diesen oder ähnlichen Worten“ gesprochen werden solle. Das heißt, dass die Vorlagen hinsichtlich Inhalt, Struktur und Stil maßgeblich sind für die Eigenformulierungen.

Eine weitere Textgattung, bei der es liturgisch zu sprechen gilt, sind Hinweise und Kommentare. Es ist durchaus ein Unterschied, ob der Vorsteher die Gemeinde auffordert „Wir stehen jetzt alle auf.“ oder der Diakon „Erhebet euch!“ ruft – einmal ganz von der durchaus bedeutsamen Rollenzuweisung abgesehen. Natürlich kann man am Grab den Weihrauchritus deuten: „Wir beräuchern den Sarg, weil Gott im Leib unseres Verstorbenen wohnte“. Doch was gewinnt man gegenüber der vorgesehenen Formel „Dein Leib war Gottes Tempel“? Natürlich kann man die Symbolik der Osterkerze mit eigenen Worten erklären. Aber sind denn die Begleitworte des Messbuchs so unverständlich? Selten treffen eigene Formulierungen das rituell-poetische Sprachniveau der Liturgie. Damit sich eigene Textschöpfungen überzeugend in den liturgischen Vollzug eingliedern, ist große Sensibilität und hohe Sprachkompetenz erforderlich. Eine Formulierungshilfe könnte die Frage nach der Kantillation sein: Ist der Text der Vorlage zu Singen geeignet, sollte dies auch für die eigene Nachschöpfung gelten.

In Gottesdiensten mit „kirchenfernen“ Gästen, etwa an Weihnachten oder bei Kasualien, ist das Bedürfnis oft groß, das eigene liturgische Tun zu erklären. Als beispielhaft können die zahlreichen Riten der Taufe gelten, die man „liturgisch unmusikalischen“ Teilnehmern zu erschließen müssen glaubt. Ursprünglich „erfunden“, um das Wesen des Sakraments zu veranschaulichen, haben die Riten anscheinend ihre Kraft verloren und sprechen nicht mehr für sich. Wem die vorgesehenen Begleitworte des Rituals zu hermetisch erscheinen, der wird eigene Worte finden. Die gedruckten Texte dann noch zusätzlich (gewissermaßen als liturgische Formel) abzulesen, ist hingegen sinnlos.

 

Der richtige Zeitpunkt

Auf einem anderen Blatt stehen persönliche Worte innerhalb des Gottesdienstes. Sie brechen ganz bewusst aus der Sprachebene des „Liturgischen“ aus und lassen die Person des Liturgen durchscheinen. Klassischerweise geschieht das im Rahmen der Homilie, vorausgesetzt diese hat keinen hymnisch-doxologischen Charakter. Aber es sind mindestens zwei weitere neuralgische Punkte im Gottesdienstablauf, an denen persönliche Worte begegnen: bei der Einführung nach dem liturgischen Gruß und vor dem Schlußsegen bei den Vermeldungen.

Wie problematisch das sein kann? Zwei Beispiele: Die Feierlichkeiten zu einem Priesterbegräbnis begannen mit einer gesungenen Laudes. Den Einzug des liturgischen Dienstes begleitete eine barocke Trauermusik. Danach intonierten Schola und Gemeinde das „Requiem aeternam“. In mehr als einer halbe Stunde hatte sich bis hierher eine Atmosphäre des Gebets entwickelt. Die Gemeinde war gesammelt und gestimmt. Umso deutlicher war der Bruch, als der Ortspfarrer dann als erster das Wort ergriff und namentlich zahlreiche Honoratioren, Zelebranten und Musiker begrüßte. Erst dann „begann“ die schon lange dauernde und wirkende Liturgie mit dem Kreuzzeichen und dem liturgischen Gruß. Ähnlich wie in diesem Beispiel stimmen sich alltäglich viele vor einer Messe bereits mit dem Rosenkranz in eine Atmosphäre des Gebets ein.

Zweites Beispiel: Feier des Stadtpatrons in der zentralen Kirche. Gäste aus vielen Pfarrgemeinden sind anwesend. Ein Festprediger ist Hauptzelebrant. Nach Danklied und Schlussgebet gratuliert der Ortspfarrer einem Pfarrkind zum 70. Geburtstag und lädt u.a. zum Kinderkleiderbasar ein. Danach den feierlichen Schlusssegen und das Te Deum noch erhobenen Herzens mitzuvollziehen, fällt schwer. Die Schwelle zum Alltag war bereits spürbar überschritten.

Die beschriebenen Situationen begegnen immer wieder gerade in festlichen Gottesdiensten. Zu fragen ist, ob die Aufsplittung solcher „eigenen Worte“ an mehrere Stellen der Liturgie nicht dem Duktus der Feier grundsätzlich unangemessen ist. Wäre nicht im Umfeld der Predigt ein besserer Ort für solch freie Rede? Hier erwarten alle das frei gesprochene Wort, in umgänglicher Sprache, nicht im hohen Ton der Liturgie. Hier könnten Gäste begrüßt und vorgestellt, Grüße übermittelt, Dank- und Ansagen gemacht und Hinweise zum Gemeindeleben gegeben werden.

Ungeeignet ist dafür hingegen der Ort zwischen Introitus und Kreuzzeichen. Damit würde letzteres zum eigentlichen Beginn der Liturgie umgedeutet und alle vorbereitenden Riten (Versammeln, Einziehen, Singen etc.) wären entwertet. Und auch die „Einführung“ nach dem liturgischen Gruß, die ja „knapp“ sein soll und gar gänzlich unterbleiben kann, sollte nicht aus der „liturgischen Sprachebene“ herausfallen, ist demnach ebenso wenig ein guter Platz für solche freie Rede. Gerade das Beispiel des Requiems, bei dem nicht nur wenige Minuten, sondern bereits weit über eine halbe Stunde gesammelte Gebetsatmosphäre herrschte, zeigt dies deutlich.

Liturgie ist keine One-Man-Show. Ihr heiliges Spiel lebt von Differenzierungen: verschiedene Rollen, verschiedene Textqualitäten, verschiedene Handlungsorte. Wichtig ist auch das richtige Timing: Wer sagt was, wo, wann und auf welche Weise? Verschiedenen Sprechakten durch Rollen, Orte, Zeitpunkte und Sprechweisen Ausdruck zu geben, ist eine Kunst, in der sich jeder liturgische Rollenträger üben sollte. Keineswegs muss man im Gottesdienst auf persönliche Worte verzichten. Allerdings verlangt es Fingerspitzengefühl, sie innerhalb der Feier so zu terminieren, dass sie „erhobene Herzen“ nicht „runterziehen“. Erste Aufgabe eines Liturgen ist nicht, selbst eine persönliche Kommunikation mit den Mitfeiernden aufzubauen, sondern diese in Kommunikation mit Gott zu bringen. Deuteworte oder liturgische Anweisungen im falschen Ton sowie informierende Rede oder persönliche Worte zum falschen Zeitpunkt, stören diese Hinwendung zum Herrn eher, als dass sie sie fördern.


publiziert in:
Gottesdienst 46 (2012) S. 156–157