Psalm und Kehrvers

Wichtig für die Konsonanz der Schrifttexte

Kaum eine Veröffentlichung zum Antwortpsalm, die nicht die AEM mit den Worten zitiert, der Antwortpsalm sei ein wesentliches Element des Wortgottesdienstes. Kaum eine deutschsprachige Veröffentlichung aber auch, die eingestehen muss, dass fünfzig Jahre nach Einführung der neuen Leseordnung der Antwortpsalm hierzulande noch immer nicht zu einer flächendeckenden Selbstverständlichkeit geworden ist – schon gar nicht an den Wochentagen. Dabei waren und sind die Versuche zahlreich, ihn mittels Kantorenbüchern, Arbeitshilfen und Bildungsveranstaltungen als unverzichtbaren Teil des Wortgottesdienstes zu etablieren. Wirklich neue Ansätze gab es dabei aber selten. „Warum regen sich eigentlich nicht auf breiter Front die schöpferischen Kräfte der Kirchenmusik, um dieser musikalischen Sparte der Kantoren-Gesänge, die zunächst nur auf historische Vorgaben (Psalmton-Modelle, Kirchentöne usw.) zurückgreifen kann, wirklich neue Impulse zu geben?“, fragte Matthias Kreuels bereits 1991. Was aber könnten solche Impulse sein?

 

Die passende Antwort

Ein und derselbe Psalm erscheint im Lauf des Kirchenjahres in unterschiedlichen Kontexten. So begegnet beispielsweise der Bußpsalm 51 am Aschermittwoch und fünf weiteren Tagen der Quadragese, dann aber auch in der Osternacht und an neun weiteren Terminen im Jahreskreis. Dabei wird der Psalmtext mit sieben verschiedenen Kehrversen verbunden. So ist „Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein“ (Do. 20. Wo. II) der vorangehenden Lesung aus dem Buch Ezechiel entnommen. „Ich will zu meinem Vater gehen und meine Schuld bekennen“ (24. So. C) öffnet den Blick auf das folgende Evangelium vom verlorenen Sohn. „Erbarme dich unser, o Herr“ (Aschermittwoch u.ö.) lässt den Psalm in anderem Licht erscheinen als „Mein Mund verkünde dein Lob“ (Fr. 14. Wo. II).

Natürlich sind es nicht nur die Kehrverse, sondern auch die wechselnden Perikopierungen des Psalms, die Variationen im Jahreslauf bieten. Gerade die mehrfach erklingenden Rufe der Gemeinde aber fokussieren den Inhalt und spitzen ihn zu. Sie sind die Leitgedanken der oft bilderreichen Psalmtexte, die die Verbindungslinien zwischen den Wortfeldern der übrigen Lesungen herstellen. Besonders die Kehrverse der Psalmen können durch ihren aktiven Vollzug zum intensiven Verständnisschlüssel für die sonst nur Hörenden werden. Darum wäre es verfehlt, der versammelten Gemeinde für ihren Verkündigungsdienst statt der vorgesehenen nun irgendwelche anderen Worte in den Mund zu legen.

Ein erster Impuls – oder vielmehr eine Selbstverständlichkeit – wäre daher die unbedingte Texttreue.

 

Die passende Form der Kehrverse

Die Bezeichnung „Antwortpsalm“ rührt bekanntermaßen weniger von der Antwortfunktion auf die Lesung, sondern vielmehr von seiner musikalischen Aufführungspraxis her. Bei der sogenannten responsorialen Singweise antworten jeweils alle auf die von einem Einzelnen vorgetragenen Verse mit einem Responsum. Anders im klösterlichen Stundengebet: Dort werden die Psalmen meist antiphonal, also im Wechsel zweier Gruppen Vers für Vers gesungen. Der Psalm als Ganzes wird von einer Antiphon gerahmt.

Kehrverse für Responsorialpsalmen müssen von geradezu akklamatorischer Kürze sein. Dies war für die Bearbeiter der nachkonziliaren Leseordnung in Frankreich, die erstmals den Psalm als eigenständige Lesung wieder implementierten, noch selbstverständlich. Sie unterschieden entsprechend der Tradition Vortrags-, Prozessions- und Offiziumspsalmodie. Die mit diesen Gesangsweisen in Verbindung stehenden Kehrverse und Antiphonen haben ebenfalls unterschiedliche Charaktere und Funktionen.

Bei der Einführung des Ordo Lectionum Missae wurde diese Differenzierung leider nicht immer beachtet. Stattdessen finden sich oft ganze Psalmverse als Responsum im Lektionar. Dass selbst diese auswendig memorierbar sind, zeigt ein Blick in die Nachbarschaft des deutschen Sprachraums. Dort werden, vor allem wenn keine Kantorin zur Verfügung steht, die Kehrverse von der Lektorin vorgetragen und von der Gemeinde anstandslos auch zwischen den Psalmstrophen wiederholt. Auch hierzulande sind Gemeinden durchaus wieder an das auswendige Singen zu gewöhnen, wie die Erfahrung zeigt. Doch zweifellos ist ein kurzes Responsum hierfür besser geeignet als ein längeres.

Ein zweiter Impuls: Kehrverse mit einer einzigen zentralen Aussage sind kürzer, charakteristischer und leichter auswendig wiederholbar. Ihre inhaltliche Weite erhalten sie dann durch den Vortrag der Psalmistin zurück, die den jeweiligen Psalmvers, aus dem das Responsum normalerweise genommen ist, in voller Länge und Sinndichte vorträgt. Der Kehrvers ermöglicht somit eine inhaltliche Zuspitzung, die umgekehrt auch der praktischen und spirituellen Memorierbarkeit dient. Anhand eines kurzen Wortes können die sprachlichen Bilder des ganzen vorgetragenen Psalms erinnert werden.

 

Die passende Form der Psalmodie

Die Differenzierung der liturgischen Funktionen und musikalischen Formen zwischen antiphonal geprägtem Psalmengebet einerseits und responsorial geprägter Vortragspsalmodie andererseits hat nicht nur für die Kehrverse, sondern auch für die Psalmodie selbst Bedeutung. Der sinnerschließende Vortrag folgt anderen Gesetzen als das antiphonale Singen zweier Gruppen. Die (gregorianischen) Psalmmodelle des Stundengebets wollen nicht recht zum solistischen Vortrag eines Psalms passen – auch nicht in ihrer auf vier Zeilen ergänzten Form. Der Ausgangspunkt des verkündigenden Vortrags muss stets der Text sein. Der Ansatz bei der liturgischen Kantillationspraxis erscheint daher hilfreich und ist auch ungeübten Sängerinnen leicht zugänglich. Demgegenüber wirft die Verwendung von Psalmtönen und ihren recht unflexiblen Schlusswendungen regelmäßig Probleme auf (vgl. gd 19/17 S.152). Auch ist beispielsweise die Asteriskus-Pause im solistischen Vortrag völlig deplaziert. Sinnwidrig wird das Sternchen inzwischen leider auch in deutschen Lektionaren und Bibelausgaben mitgedruckt.

Auch ist die Praxis, das Responsum jeweils erst nach zwei Psalmversen (vier Textzeilen) folgen zu lassen, zu hinterfragen. Gedeckt durch die Praxis in biblischer Zeit (vgl. Ps 136) sah bereits das Graduale simplex von 1967 einen kurzen Ruf nach jedem Psalmvers (zwei Textzeilen) vor. Diesem Prinzip folgte jüngst auch die Münsterschwarzacher Edition Preisungen, was auch im österreichischen Eigenteil des Gotteslob aufgegriffen wurde. Diese Praxis eignet sich vor allem bei Kehrversen, die besonders kurz sind und eine sehr persönliche Gebetsaussage beinhalten (z.B. Behüte mich Gott!, Höre mein Seufzen! oder Der Herr ist mein Hirt). Durch die – anfangs sicher noch ungewohnte – häufige Wiederholung des Kehrverses prägt sich dieser besser ein, vermag tief ins Herz zu sinken und wird gewissermaßen zum Mantra, das die Textaussage des Psalmes verdichtet.

Weitere Impulse wären somit, die Vortragspsalmodie eng am gesprochenen Wort zu orientieren, dem Text also in jeder Hinsicht Vorrang vor der Melodie einzuräumen sowie die Rolle der Gemeinde ernster zu nehmen, um ihr intensivere Teilhabe zu ermöglichen.

 

Ein Wort zum „Gotteslob“

Dass die Psalmen im Gotteslob fast ausschließlich klassischen Psalmodiemodellen unterlegt sind, weist sie deutlich der Tagzeitenliturgie zu. Auch die wenigen alternativen Singweisen für Psalmen und Cantica, die sich nun glücklicherweise im Gesangbuch finden, sind eher für antiphonales Singen gedacht. Dies ist konsequent, denn der Psalmtext selbst muss bei responsorialem Vortrag im Rollenbuch der Kantorin und nicht in dem der Gemeinde enthalten sein.

Schaut man sich ferner den Bestand von Versen und Rufen im Gotteslob an, finden sich nur etwa ein Dutzend, die die nötige Kürze haben, wirklich als Kehrvers in der responsorialen Psalmodie verwendet zu werden. Und diese müssten dann auch wiederum nicht im Rollenbuch der Gemeinde erscheinen, da sie ja auswendig gesungen werden können. Der Großteil der Verse im Gesangbuch sind jedoch Antiphonen, die in der Stundenliturgie den deutenden Rahmen für einen Psalm abgeben. Diese sind textlich und melodisch deutlich komplexer als die Kehrverse responsorialer Psalmodie. So gesehen ist das Gotteslob was die Psalmen angeht eindeutig an den Bedürfnissen der Tagzeitenliturgie orientiert.

Hinzu kommt das Problem der Texttreue der Kehrverse: Nur für ein Fünftel der etwa 350 Kehrverse im Lektionar stellt das Gotteslob eine textliche Entsprechung bereit.

 

Das neue Psalmenbuch

Die genannten Impulse greift das nun erschienene Psalmenbuch auf und verfolgt einen neuen Ansatz, den Antwortpsalm mit einfachsten musikalischen Mitteln zu etablieren. Die Kehrverse entsprechen jenen im Lektionar, sind kurz und leicht zu wiederholen. Die Gesangsweise der Psalmverse folgt dem Stil der Kantillation und kann zudem als Anregung zur eigenen Improvisation dienen. Das Psalmenbuch versteht sich zudem als liturgisches Buch für die Hand der Psalmistin und tritt – wie das Evangeliar – als Auszug aus dem Lektionar neben dieses.

Nicht nur um Dopplungen zu vermeiden, ist das Psalmenbuch statt nach dem Kirchenjahr, nach der biblischen Folge geordnet. Dadurch eignet es sich auch als Kantorale für die Wochentage und bietet schließlich eine interessante Zusammenschau der verschiedenen Perikopen sowie der dem jeweiligen Psalm oder Canticum zugeordneten Kehrverse.

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Der Psalm beleuchtet die vorangegangene Lesung aus einer neuen Perspektive und gibt der Gemeinde Gelegenheit, an der Verkündigung aktiv Teil zu haben. Wenn nach der Lesung und einer hinreichenden Stille der Kehrvers angestimmt wird, er einem ins Herz fällt und damit den „roten Faden“ für den Vortrag des Psalmisten abgibt, macht dies die Verkündigung zum geistlichen Erlebnis. Viel mehr als dies eine gemeinsam gesungene Liedstrophe vermag.


publiziert in:
Gottesdienst 53 (2019) S. 65f

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