Die Nacht der Nächte

Gegen den Trend einer Osternachtfeier in der Morgenfrühe

Vor fünfzig Jahren verhalfen die liturgischen Reformen Pius’ XII. der Osternacht, die bis dahin weitgehend als Klerikerliturgie am Morgen des Karsamstags stattfand, zu ihrem angestammten Platz in der Nacht zum Ostersonntag zurück – eine Restauration, die seinerzeit dankbar und teils euphorisch begrüßt wurde. Seit etlichen Jahren ist jedoch der Trend zu beobachten, die „Auferstehungsfeier“ in die frühen Morgenstunden des Ostersonntags zu verlegen. Selten wird dabei die Feier vor 5 Uhr beginnen und damit frühestens gegen 7 Uhr beendet sein. Meist ist ein noch späterer Zeitansatz zu beobachten. Diese Praxis widerspricht offenkundig den Regelungen des Meßbuches, heißt es doch dort: „Die Feier findet in der Nacht statt; sie soll nicht vor Einbruch der Dunkelheit beginnen und nicht nach der Morgendämmerung enden.“ Damit ist klar, daß ein Zeitansatz um 5 Uhr oder später nicht im Einklang mit den Vorschriften steht; die Liturgie würde nicht vor der Morgendämmerung enden.

Der Sinn dieser Vorschrift wird bereits an der liturgischen Struktur der Osternachtsfeier deutlich. Auf das feierliche Lichtentzünden am Osterfeuer folgt ein ausladender Lesegottesdienst mit (im Idealfall) acht Lesungen und dem Evangelium. Daran schließen sich die Tauffeier und die Eucharistie an.* Einerseits ist der Lichtritus am Beginn ein klassisches Element des gemeindlichen Abendgottesdienstes. Mit ihm wurde jahrhundertelang die Vesper in den Pfarrkirchen eröffnet. Anders als in der Ostkirche hat sich dieser allabendliche Lichtritus im Westen nur noch in der Osternacht erhalten. Andererseits verweist der lange Lesegottesdienst, in dem das gesamte Panorama der Heilsgeschichte ausgefaltet wird, eindeutig auf eine ganznächtliche Vigilfeier.

Entsprechend formuliert das Meßbuch die theologische Sinnhaftigkeit dieses Zeitansatzes: „Die Osternacht ist nach ältester Überlieferung eine Nacht der Wache für den Herrn (Ex 12,42).“ Es erinnert ferner an die alte Vorstellung von der Wiederkunft Christi in der Osternacht, bei der uns der Herr wachend finden soll (Lk 12,35ff). Eine Nacht „durchmachen“ bedeutet aber nun gerade nicht, nur zwei oder drei Stunden früher vom Schlaf aufzustehen, sondern umgekehrt die abendliche Feier möglichst bis zum Morgen auszudehnen. Natürlich bleiben wir in unserer liturgischen Praxis vom Ideal einer im Gottesdienst durchwachten Nacht meist ein gutes Stück entfernt. (Daß es dennoch gelingen kann, zeigt das Beispiel aus Mölln, vgl. gd 4/04.) Doch bleibt zu fragen, ob man den Charakter einer nächtlichen Liturgie durch ein Verschieben des Zeitansatzes in die Morgenstunden aufgeben sollte. Ob der Verweis auf das Evangelium von den Frauen am Grab hierfür eine Rechtfertigung darstellen kann, ist ebenfalls zweifelhaft.

Die emotional gewiß eindrückliche Symbolik der aufgehenden Sonne für die „Auferstehungsfeier“ zu bemühen, entspricht – und dies mag überraschen – in keiner Weise den Aussagen der liturgischen Texte der Osternacht. Sie erwähnen die Sonne überhaupt nicht und sprechen stattdessen von der „Nacht, die durch den Glanz der Auferstehung erleuchtet“ wurde. Und auch wo die Liturgie Naturphänomene aufgreift – etwa im Exsultet – bittet sie beispielsweise, das Licht der Osterkerze solle sich mit den Lichtern am Himmel vermählen: „Sie leuchte bis der Morgenstern erscheint“. Dies ist der Stern, der der Sonne vorausgeht und nur so lange sichtbar ist, wie sie nicht selbst am Horizont erscheint. Und nicht einmal die Tauffeier – ausgehend von der ursprünglichen Bezeichnung des Sakraments „Photismos/Erleuchtung“ – thematisiert die Sonne. Es ist unstrittig, daß die Natursymbolik von Frühling und Sonnenaufgang sich in unseren Breiten gut mit Ostern verbinden läßt – manche Lieder zeugen davon –, doch eignet sich diese Parallelisierung  besser im Rahmen eines Emmausgangs als in der Liturgie.

Gerade im deutschen Sprachraum sind es oft „pastorale Gründe“, die auch noch so sinnvolle liturgische Vorschriften aushebeln. Da ist der Lesegottesdienst, der auf ein bis zwei alttestamentliche Lesungen sowie Epistel und Evangelium reduziert wird: dem Phänotyp nach wird aus der Ostervigil eine Vorabendmesse mit Lichtfeier und Tauferinnerung. Da ist der Priester, der zwei Gemeinden eine Ostervigil anbieten will: im einen Ort am Abend, im anderen notgedrungen am Morgen.

Schließlich ist da der berechtigte Wunsch der Gemeinde nach einem Weiterklingenlassen der liturgischen Feier im gemeinsamen Mahl: ein Osterfrühstück nach der morgendlichen Feier bietet sich an. Daß die Gemeinde nach der Osternachtsfeier sich nicht einfach zerstreuen sollte, steht außer Frage. Doch kann der Wunsch nach einem Osterfrühstück nicht auch nur Mitgrund für die Verschiebung des Zeitansatzes der Osterfeier sein. Stattdessen ist umgekehrt zu überlegen, welche Form anschließenden Feierns die nächtliche Liturgie der Auferstehung des Herrn zu einem ganzheitlich erlebbaren Fest machen könnte. Ein gemeinsames Fastenbrechen oder ein Empfang im Pfarrsaal beispielsweise böte sich an. Und vielleicht entsteht in dessen Verlängerung für den einen oder anderen ja dann doch eine durchwachte Nacht.

 

 

Anmerkungen

* So die vier Teile im Messbuch. Zutreffender ist jedoch die Zweigliedrigkeit: An die Vigil mit eröffnender Lichtfeier schließt sich die Messfeier mit an der üblichen Stelle eingeschobenen Tauffeier an. Wie stets, wenn der Messfeier eine andere liturgische Handlung vorausgeht, beginnt diese nicht mit dem Introitus, sondern mit dem Gloria bzw. Tagesgebet (vgl. Palmsonntag, Darstellung des Herrn …).


publiziert in:
Gottesdienst 38 (2004) S. 56