Wie eine Overtüre steht der Palmsonntag am Beginn der Heiligen Woche. Die Liturgie beschränkt sich keineswegs auf den zur triumphalen Einholung des Königs in seine Stadt stilisierten Einzug Jesu nach Jerusalem. Mit Gottesknechtslied, Philipperhymnus und Passion wird stattdessen das bevorstehende Leiden Christi in den Blick genommen und das Schlussgebet gewährt bereits einen Ausblick auf die Auferstehung. Es klingen die Themen der bevorstehenden Woche an – wie in einer Overtüre die Melodien der folgenden Oper.
Bei Licht betrachtet hat die Messe des Palmsonntags überhaupt nichts von dem Jubel dieses Tages. Einzig die vorausgehende Prozession gibt diesem Raum. Schon mit dem Tagesgebet jedoch kippt die Stimmung vom Hosanna ins Kreuzige. So radikal der Bruch, so wenig findet er interessanterweise Ausdruck in der liturgischen Gestalt der Feier.
Anders am Gründonnerstag und in der Osternacht. Beim Gloria werden durch Wegfall bzw. Einsatz von Glocken und Orgel eindrucksvolle – sogar außerhalb des Kirchenraumes wahrnehmbare – Markzeichen gesetzt, die vermuten lassen, dass mit diesem Gesang auch eine inhaltliche Veränderung im Duktus der Feier einhergeht. Doch ist das wirklich so?
Das Gloria der Osternacht erscheint nach dem Entzünden der Osterkerze und der großen Lichteucharistie des Exsultet wie ein erster Höhepunkt, demgegenüber das Halleluja und die Verkündung der Auferstehungsbotschaft im Evangelium deutlich zurückstehen. Dabei erklingt das Halleluja nach vierzig Tagen erstmals wieder als österlicher Auferstehungsgesang. Das Gloria unterbleibt zwar wie im Advent auch in der Quadragese, wird aber nur nach dieser in der Osternacht feierlich hervorgehoben. Wäre es nicht wesentlich angemessener, diesen aus weihnachtlichem Material schöpfenden Gesang in der Christmette zu betonen und in der Osternacht das Augenmerk aufs Halleluja zu legen?
Recht verstanden hat das Geläut zum Gloria der Osternacht allerdings wenig mit dem Gloria selbst zu tun, sondern markiert den Beginn der nächtlichen Messfeier, die nach der Vigil mit ihren Lesungen, Psalmen und Orationen nun mit Gloria, Tagesgebet und Wortgottesdienst ihren Fortgang nimmt. Das Gloriageläut der Osternacht ist nichts anderes als das Läuten zur ersten Messe nach dem Karfreitag. Es markiert demnach zwar den Wechsel liturgischer Handlungen (Vigil/Messe), aber keinen Themenwechsel wie etwa am Palmsonntag. Eine inhaltliche Zäsur an dieser Stelle müsste man mühsam konstruieren – etwa aus einer Gegenüberstellung von Verheißung und Erfüllung.
Noch viel weniger ist das Gloriageläute am Gründonnerstag inhaltlich motiviert. Zwar klingen mit Fußwaschung, Abendmahl und Ölbergstunde auch in dieser Feier unterschiedliche Motive an, doch ist die durch das Verstummen von Glocken und Orgel deutlich wahrnehmbare Zäsur an dieser Stelle weder inhaltlich noch strukturell gedeckt.
Das Läuten am Gründonnerstag ebenso wenig wie in der Osternacht dem Gloria selbst, das übrigens ursprünglich gar nicht zur „Messe vom letzten Abendmahl“ gehörte, sondern ausschließlich im Rahmen der bischöflichen „Missa Chrismatis“ angestimmt wurde. Die Glocken am Karfreitag und -samstag schweigen zu lassen, ist dagegen lange geübter Brauch der römischen Kirche. Eine Spurensuche im Mittelalter zeigt, dass der Zeitpunkt des letztmaligen Läutens vor den Kartagen zu ganz unterschiedlichen Gelegenheiten stattfand. Es geschah etwa zur Prim oder auch erst zur Vesper oder Komplet des Tages. Wo die Messe am Abend gefeiert wurde, war dies der letzte Gottesdienst, zu dem mit Glocken gerufen wurde. Diesem letzten Geläut vor den Kartagen wurde tatsächlich besondere Bedeutung beigemessen. Vermutlich um diese zu verstärken und von einem normalen Geläut zur Messe abzuheben, erklangen die Glocken nochmals zum inzwischen auch in der Abendmahlsmesse gesungenen Gloria. Doch wie gesagt gibt es dazu keinen inhaltlichen oder strukturellen Anhalt innerhalb der Liturgie.
Der eigentliche Bruch in der Liturgie des Gründonnerstags geschieht erst mit der Übertragung des Allerheiligsten und der Entkleidung des Altares. Ja, es ist kaum einzusehen, warum ausgerechnet an diesem Tag die Einsetzungsworte und die Teilnahme am Abendmahl mit einer reduzierten Feierlichkeit begangen werden. Den inhaltlichen Erwägungen folgerichtiger wäre, den atmosphärischen Umschlag nach Kommunion, Dankgesang und Schlussgebet zu markieren und erst ab diesem Zeitpunkt auf das Orgelspiel zu verzichten.
Anders als das Verstummen der Glocken ist das der Orgel wohl auch eher als regionale Besonderheit zu werten. Die „Instruktion über die Musik in der Liturgie“ sieht in ihrem Artikel 66 den Wegfall von Instrumentalmusik nicht nur im Triduum sacrum, sondern gleichermaßen auch im Advent und der gesamten Quadragese sowie beim Totenoffizium vor. Gemeint ist damit allerdings nicht die Begleitung des Gesanges, sondern selbständige Instrumentalmusik. Keine Frage: Der Verzicht auf die Orgel am Karfreitag gibt diesem Tag ähnlich wie der entkleidete Altar eine besondere Note. Am Gründonnerstag wäre entsprechend dieses Entkleiden auch der passende Zeitpunkt, die Orgel verstummen zu lassen. Denn hier liegt die inhaltliche Zäsur der Feier, die markiert werden sollte, um auch emotional erfahrbar zu werden: Jesus und seine Jünger verlassen den Abendmahlsaal und machen sich auf den Weg nach Getsemani.
Besieht man die historische Entwicklung der Vorschriften und Traditionen rund ums Glorialäuten am Gründonnerstag und der Osternacht, besteht bei unreflektiertem Umgang damit die Gefahr, Mitfeiernde auf eine falsche Fährte zu locken. So wird der deutliche Bruch in der Liturgie des Palmsonntags oft gar nicht realisiert. Umgekehrt wird am Gründonnerstag eine Zäsur an einer unpassenden Stelle erlebt. Selbst die Osternachtsfeier setzt auf der Erfahrungsebene einen schwer vermittelbaren Höhepunkt, der sich selbst den strukturell Denkenden nur mit einiger Mühe erschließt.
Bei allem Wissen um das geschichtliche Werden von Liturgie sollten wir nicht einfach am Das-war-schon-immer-so festhalten, sondern das konkrete Erleben ernst nehmen, denn nur wer (intuitiv) versteht, was er feiert, gelangt zu tätiger Teilhabe.
publiziert in:
Gottesdienst 48 (2014) S. 36–37
ungarische Übersetzung in:
Praeconia 10 (2015) S. 83–85